Luftwaffenübung „Air Defender“: Rechte von Flugreisenden bei Verspätungen

Hannover · Luftstreitkräfte aus mehr als zwei Dutzend Ländern üben über Deutschland den Ernstfall. Das könnte die Reisepläne mancher Urlauber beeinflussen. Welche Ansprüche haben sie bei Problemen?

Massig Flugausfälle sind in Folge der Luftwaffenübung eher nicht zu erwarten - mehrere Flughäfen haben aber schon mitgeteilt, dass sie während des Manövers mit verspäteten Flügen rechnen.

Massig Flugausfälle sind in Folge der Luftwaffenübung eher nicht zu erwarten - mehrere Flughäfen haben aber schon mitgeteilt, dass sie während des Manövers mit verspäteten Flügen rechnen.

Foto: Oliver Berg/dpa/obs

Längere Flugzeiten, Verspätungen und möglicherweise auch Ausfälle: Die genauen Auswirkungen sind zwar noch nicht absehbar, aber die große Luftwaffenübung „Air Defender 23“ vom 12. bis 23. Juni wird den zivilen Luftverkehr und folglich auch die Pläne von Flugreisenden beeinflussen.

Welche Rechte gelten dann? Hier ist ein Überblick:

Verspätung und Flugausfall - was die Airline leisten muss

Verspätet am Ziel? Die Luftwaffenübung «Air Defender 23» ab 12. Juni kann sich auf zivile Flüge auswirken.

Verspätet am Ziel? Die Luftwaffenübung «Air Defender 23» ab 12. Juni kann sich auf zivile Flüge auswirken.

Foto: Andreas Arnold/dpa/dpa-tmn

Auch bei Problemen in Folge der Luftwaffenübung können sich betroffene Reisende auf ihre Fluggastrechte aus der zugrundeliegenden EU-Verordnung berufen.

So besteht bei einer Verspätung von mehr als zwei Stunden das Recht auf eine kostenlose Mahlzeit und ein Getränk am Airport. Darauf weist das Fluggastrechte-Portal Flightright hin.

Ab einer Verspätung bei Kurzstreckenflügen von zwei Stunden, bei Mittelstreckenflügen von drei Stunden und bei Fernstreckenflügen von vier Stunden muss die Fluggesellschaft den Reisenden eine alternative Beförderung zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ zum Ziel anbieten - etwa durch Umbuchung auf einen anderen Flug. Das passiert oft automatisch. Oder die Airline bietet die Option an, das Ticket für innerdeutsche Flüge in eine Bahnfahrkarte umzuwandeln.

Bietet die Airline so etwas nicht von selbst an, sollten Betroffene ihr eine Frist zur Beschaffung der Alternative setzen. Kommt sie der Aufforderung nicht nach, könnten Reisende selbst Ersatz beschaffen und die Kosten der Fluggesellschaft hinterher in Rechnung stellen.

Entscheide sich der Flugpassagier für die alternative Beförderung, sei die Fluggesellschaft dazu verpflichtet, sich neben Verpflegung im angemessenen Verhältnis zur Wartezeit gegebenenfalls auch um ein Hotelzimmer zu kümmern und den Transport vom Airport dorthin und wieder zurück zu zahlen, sagt Reiserechtler Paul Degott aus Hannover.

Hat ein Flug mehr als fünf Stunden Verspätung, können Reisende das Ticket zurückgeben und ihr Geld zurückverlangen - Gutscheine müssen sie nicht akzeptieren. Auch Bearbeitungsgebühren dürfen nicht von der Airline einbehalten werden.

Die Frage nach Entschädigungen

Neben den genannten Rechten sehen die EU-Regelungen bei Verspätungen ab drei Stunden am Zielort oder kurzfristigen Flugabsagen unter gewissen Voraussetzungen je nach Flugdistanz zusätzlich sogenannte Ausgleichszahlungen in Höhe von 250, 400 oder 600 Euro pro Passagier vor. Allerdings sind die Aussichten auf diese Zahlungen bei Annullierungen und verspäteten Landungen in Folge der Luftwaffenübung nach Einschätzung von Reiserechtsfachleuten eher mau.

Das Luftwaffenmanöver ist ein außergewöhnlicher Umstand, der außerhalb des Einflussbereichs der Airline liegt. „Kann sie dann nachweisen, alles Zumutbare getan zu haben, um die Folgen des Manövers für den betroffenen Flug zu vermeiden oder geringer ausfallen zu lassen, fallen die Ausgleichszahlungen leider aus“, sagt Anwalt Degott.

Rechtliche Besonderheiten bei Pauschalreisen

Bei Pauschalreisen ist der Reiseveranstalter in der Pflicht, sich um eine alternative Beförderung und gegebenenfalls Verpflegung und Unterbringung zu kümmern. Er ist also der Ansprechpartner bei Flugproblemen, nicht die Airline.

Verkürzt sich die gebuchte Reise, etwa in Folge eines Flugausfalls, können Pauschalurlauber auf anteilige Rückzahlung des Reisepreises pochen, so Degott.

„Denn der Reiseveranstalter hat sich im Pauschalreisevertrag verpflichtet, den Reisenden pünktlich ans Urlaubsziel zu bringen, damit dieser dort die von ihm schon bezahlte Urlaubszeit beginnen zu können. Gelingt dies nun nicht, weil der Hinflug ausfällt oder verspätet ist, verliert der Reisende wertvolle Reisezeit.“ Ob der Veranstalter daran Schuld hatte oder nicht, spiele für die Reisepreisminderung keine Rolle.

Geht es hingegen um die Frage nach einem zusätzlichen Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreuden, kann der Reiseveranstalter auf die außergewöhnlichen Umstände verweisen, die die Flugprobleme ausgelöst haben, so der Reiserechtler weiter. War also die Luftwaffenübung der Grund für den annullierten Flug, sei der Veranstalter an der Stelle entlastet und man könne keine zusätzliche Entschädigung fordern.

Informationspflichten des Veranstalters

In dem Zusammenhang weist Paul Degott aber auf einen weiteren Ansatz hin, über den am Ende womöglich doch Schadenersatz-Anspruch gegenüber dem Veranstalter bestehen könnte.

Denn Reiseveranstalter treffe eine „ausgesprochen umfangreiche Produktbeobachtungs- und Informationspflicht“, führt der Reiserechtler unter Verweis auf „mehrere BGH-Urteile“ zu diesem Thema aus. So sei von den Veranstaltern jetzt zu erwarten, die Entwicklung des Manövers und die diesbezüglichen Ankündigungen zu beobachten und zu überprüfen, ob dies den Start in den Urlaub einzelner Reisender beeinträchtigen könnte.

Wenn dies der Fall ist, der BGH habe hier laut Degott eine „Eintreffwahrscheinlichkeit“ von 25 Prozent genannt, muss der Veranstalter rechtzeitig vor Reisebeginn den Reisenden über die möglichen Beeinträchtigungen informieren - damit dieser zumindest die Option hat, wegen deswegen den Rücktritt vom Reisevertrag zu erklären und dann den Reisepreis zurückzubekommen.

„Dies macht für den Reisenden vor allem dann Sinn, wenn es sich um eine Kurzreise gehandelt hat, bei der wegen der Flugunregelmäßigkeit quasi keine Netto-Urlaubszeit mehr übrig bleibt, da auch der Rückflugtag von der Gesamturlaubszeit abgeht“, erläutert der Fachmann.

Zusammengefasst: Verletze der Reiseveranstalter schuldhaft diese Informationspflichten, mache er sich schadensersatzpflichtig, so Degott. Und zwar nicht wegen dem Manöver an sich, sondern deshalb, weil er den Reisenden über die Folgewirkung des Manövers auf den konkreten Reisevertrag und die dort vereinbarten Flüge nicht zeitnahe informiert habe.

Schlechte Karten für Individualreisende

Bei Individualreisen gilt generell: Urlauber sind auf die Kulanz etwa von Hotelbetreibern und Mietwagenfirmen angewiesen, wenn sie bei ihnen gebuchte Leistungen wegen Flugproblemen nicht wahrnehmen können. Denn anders als bei der Pauschalreise handelt es sich hier um einzeln geschlossene Verträge.

Das heißt: Fällt der Flug aus, kann etwa der Hotelbetreiber am Urlaubsort dennoch auf die Bezahlung der nicht genutzten Übernachtung(en) pochen. Er stellt seine Dienstleistung ja wie gebucht zur Verfügung. Für die Anreise ist der Gast zuständig.

Größte Luftwaffenübung seit Bestehen der Nato

An der Übung „Air Defender 23“ vom 12. Juni bis zum 23. Juni unter deutscher Führung sollen nach Luftwaffenangaben 25 Nationen mit 250 Flugzeugen und 10 000 Soldaten und Soldatinnen teilnehmen. Es ist die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der Nato.

Während der zweiwöchigen Operation sollen jeweils von Montag bis Freitag drei Lufträume zeitversetzt für die zivile Luftfahrt gesperrt werden. Die meisten Flüge könnten nach Angaben der Luftwaffe über der Nord- und Ostsee stattfinden.

© dpa-infocom, dpa:230607-99-971372/3

(dpa)
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