Autobahnkirchen: Besucher schätzen die Anonymität

Kassel · Den Gang rausnehmen, eine Kerze anzünden, Stille genießen: Autobahnkirchen gibt es bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert in Deutschland, und es kommen fortlaufend neue hinzu. Aber wer geht eigentlich in so eine Kirche?

 Gotteshaus an der Autobahn: Immer mehr Gläubige schätzen den leeren Raum und die Anonymität der Autobahnkirchen. Foto: Jens Wolf

Gotteshaus an der Autobahn: Immer mehr Gläubige schätzen den leeren Raum und die Anonymität der Autobahnkirchen. Foto: Jens Wolf

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Das Interesse für Autobahnkirchen ist groß: Aktuell verzeichnen die 42 Gotteshäuser - darunter 19 evangelische, 15 ökumenische und 8 katholische - rund eine Million Besucher pro Jahr. "Hier finden sie einen Raum, in dem sie für kurze Zeit der Monotonie und dem Stress der Reise entfliehen können", sagt Birgit Krause. Sie koordiniert bei der Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen die Interessen der Gemeinden, die ein Gotteshaus für Autofahrer unterhalten.

Wo eine Autobahnkirche entsteht, darauf nehmen weder Landeskirche noch Diözese Einfluss: Ausschließlich als Autobahnkirchen oder -kapellen genutzte Häuser seien meist Neubauten, die auf die Initiative von Fördervereinen zurückgehen und somit vom persönlichen Engagement Einzelner abhängen. In der Mehrzahl sind es jedoch Bauten, die gleichzeitig als Gemeinde- und Autobahnkirche genutzt werden. "Diese Entscheidung trifft die Gemeinde selbst", erklärt Krause. "Sie öffnet ihre Kirche bewusst für Fremde und muss sich anschließend auch um den Betrieb und den Unterhalt kümmern." Um als Autobahnkirche infrage zu kommen, darf das Gebäude nicht weiter als 1000 Meter von der nächsten Anschlussstelle entfernt liegen und muss mindestens von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends zugänglich sein - viele sind sogar rund um die Uhr geöffnet.

"Das Publikum ist eher männlich, über 50 Jahre alt, sehr gebildet, kirchlich engagiert und Familienvater", berichtet Birgit Krause. Und zwei von fünf Besuchern seien nicht in ihrer Heimatgemeinde aktiv. Dass häufig kein Pfarrer oder Pastor vor Ort ist, störe die Reisenden nicht: "In der Regel wünschen die Besucher keinen Anschluss an die Gemeinde, sondern schätzen den leeren Raum und die Anonymität der Autobahnkirchen." Sie wollen lediglich eine Kerze anzünden, Andacht halten und in Ruhe durchatmen. "Für seelische Nöte steht meist ein Anliegenbuch bereit, in das die Reisenden ihre Gedanken und Gefühle schreiben können."

In manchem Anliegenbuch gebe es regelrechte Dialoge zwischen wiederkehrenden Besuchern, sagt Krause. Zuweilen nehme die Gemeinde auch Genesungswünsche oder andere Anliegen in die eigenen Fürbitten auf. "In den Kapellen und Kirchen liegen außerdem Broschüren mit Gebeten und Liedern für unterwegs aus. Den Reisesegen gibt es in zehn verschiedenen Sprachen."

Zu entdecken gib es eine ganze Menge im Netz der Deutschen Autobahnkirche. Seien es die modernen, oft auch architektonisch interessanten Häuser freier Fördervereine. Oder aber historisch bedeutsame wie die Autobahn- und Gemeindekirche Gelmeroda, die einst der Maler Lyonel Feininger in zahlreichen Skizzen und Bildern festgehalten hat. Die meistbesuchte ist die Autobahnkirche St. Christophorus in Baden-Baden-Sandweier an der A 5 zwischen Karlsruhe und Offenburg. Hier war der Bildhauer Emil Wachter für die künstlerische Gestaltung verantwortlich. Mehr als 2000 Symbole und Motive zieren das pyramidenförmige Gotteshaus. "Mein persönlicher Favorit ist jedoch die Galluskapelle in Leutkirch im Allgäu", erzählt Birgit Krause. "Man muss ein paar Stufen überwinden, doch dann erschließt sich ein herrliches Alpenpanorama, und man fühlt sich weit Weg vom Alltag mit seinen Sorgen."

Mag es seit Jahren auch immer weniger Kirchenbesucher geben - die Zahl der Autobahnkirchen steigt weiter: Bereits im Oktober dieses Jahres soll die Autobahnkirche A 71 bei Bibra eröffnet werden. Sie wird dann das 43. Gotteshaus an einer deutschen Autobahn sein, das Reisenden einen Moment der Ruhe und der inneren Einkehr bietet.

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