Fliegen heute Frust und Freiheit über den Wolken

Berlin/Sydney · Es ist erst 7.00 Uhr morgens am Berliner Flughafen Tegel, aber für den Passagier vorne in der Schlange ist der Tag schon gelaufen.

 Ein Flugzeug zu besteigen, weckt im besten Fall Urlaubsgefühle - doch heutzutage ist das Fliegen oft mit Frust verbunden. Foto: dpa-infografik/dpa-themendienst-grafik/dpa

Ein Flugzeug zu besteigen, weckt im besten Fall Urlaubsgefühle - doch heutzutage ist das Fliegen oft mit Frust verbunden. Foto: dpa-infografik/dpa-themendienst-grafik/dpa

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Der Mann schlägt mit der Faust auf den Schalter beim Check-in, allerdings eher schwach, vielleicht weil er schon ahnt, dass es nichts bringen wird. „Das ist eine Sauerei“, sagt er.

Was ist los? Es soll in die Ferne gehen, mit Umsteigen in Frankfurt, doch dort muss der Mann wider Erwarten seinen Koffer noch einmal neu aufgeben, wie die Mitarbeiterin der Airline geduldig erklärt. Der Kunde möchte jemanden verantwortlich machen für den zusätzlichen Aufwand, den er nun hat. Dass die Frau am Schalter dafür die absolut falsche Person ist, macht ihn offenbar umso wütender.

Fliegen, das ist heute allzu oft: Frust. Massenabfertigung, Streiks, Verspätungen, Kostendruck. Fluggesellschaften gehen pleite, die Passagiere stranden irgendwo. Trauma Air Berlin.

Früher war das anders. Fliegen war einmal ein Symbol für Freiheit, ein exklusives Erlebnis und Ausdruck von Weltgewandtheit. Barcelona, Bangkok, Buenos Aires: Weckten die Städtenamen auf der Anzeigetafel am Flughafen nicht immer auch jene hoffnungsvolle Erwartungshaltung, an einem anderen Ort der Welt ein anderes Leben führen zu können, zeitweise jedenfalls, vielleicht sogar ein anderer Mensch zu werden? Was ist davon noch übrig geblieben? Wie ist das Fliegen heute?

Die Spurensuche führt einmal um die Welt. Von Berlin über München nach Singapur, weiter nach Sydney, in die Südsee, über den Pazifischen Ozean nach Los Angeles und zurück nach Europa. Es soll nicht um die Reiseziele gehen, sondern um die Zeit dazwischen.

Berlin: Ein grauer Tag in Tegel

Aller Anfang ist farblos, jedenfalls als Reisender aus Berlin - auch ohne Ärger mit dem Gepäck. Tegel ist ein Flughafen, der auf Ablösung wartet und auch so aussieht. Betongrau, heute unter einem aschgrauen Himmel. Was denkt ein ausländischer Besucher, der hier zum ersten Mal deutschen Boden betritt? Das Land der Ingenieure? Eher nicht.

Warteschlangen, abgekämpfte Blicke. Im Bistro „Leysieffer“ - es ist noch keine 8.00 Uhr - trinkt ein Mann mit versteinerter Miene ein Bier, sie Weißwein. Ist ja Urlaub. Woanders drängelt sich einer vor. Kann doch nicht wahr sein, kommentiert jemand. Und nimmt es hin.

Die Sicherheitskontrolle dauert. Zwei komplette Maschinen werden am Flugsteig A4 abgefertigt, Personal wird woanders gebraucht. Man will Haltung bewahren, doch irgendwann entfährt einem selbst die Empörung, die man bei anderen belächelt. „Nicht zu glauben...“

Die Luftfahrt ist wirtschaftlich auf Kante genäht. Hochkomplex, höchst störanfällig. Wenn sich an einem Flughafen morgens zu viele Mitarbeiter der Sicherheitskontrolle krank melden, wartet am anderen Ende der Welt jemand vergeblich auf seine Liebsten. Anschlussflug verpasst. Ich habe Glück, wir kommen doch noch pünktlich los.

München: Wo die Welt auf Bayern trifft

Mit Lufthansa von Berlin nach München: Es geht von der Provinz in die Metropole - jedenfalls, was die beiden Flughäfen angeht. Dabei ist es ja eigentlich andersherum, sagen viele. Der Münchner Flughafen erreicht im renommierten Skytrax-Ranking regelmäßig Spitzenplätze. In Berlin warten sie auf einen Flughafen, der nicht fertig wird.

Sobald das Flugzeug auf dem Rollfeld steht, springen alle von ihren Sitzen auf, als ob sich die Türen dadurch schneller öffneten. Fliegen weckt den Herdentrieb. Der Mensch vor mir steht auf, also muss ich auch aufstehen. Schwer, sich dagegen zu wehren.

Der Flughafen München strahlt kosmopolitischen Glanz aus. Wer will, kann im Airport eine Handtasche kaufen oder auch einen Kochtopf. Warum nicht? Das Publikum ist internationaler als in Berlin. Frauen in 600-Euro-Balenciaga-Sneakern. Aufsteiger-Typen, die aussehen wie Proleten, aber mit Hermès-Gürtelschnalle. Dazu die üblichen Raucher, verbannt in Glaskästen wie Aussätzige.

In der Luft: Reise nach Osten

Das Flugzeug nach Singapur ist ein Airbus A350-900 der Singapore Airlines. Das Einsteigen erfolgt nach Wichtigkeit, ich bin Gruppe drei, Premium Economy. In der Klassengesellschaft des Fliegens liege ich damit in der Mitte.

Flug SQ327 nach Osten, also in die Nacht. Strecke ich die Füße aus, erreiche ich so gerade die Wand. Das Beste an der Premium Economy ist der zusätzliche Platz. Zunächst werden Nüsse gereicht, der Rotwein ist leider eisgekühlt. Das Abendmenü verbindet Okzident und Fernost: erst Kartoffelsalat mit Schinken, dann Chinese Black Pepper Chicken.

Die Taiwanesin neben mir will ins Gespräch kommen, spricht aber kein Englisch. Also schreiben wir Zettel. Ihre Tochter sitzt etwas weiter hinten und kommt vorbei, um zu übersetzen. Die beiden Urlauberinnen waren eine Woche in München und Umgebung. Neuschwanstein, na klar.

Ich erwache über der Andamanensee, noch zwei Stunden. Eigentlich ist es jetzt 22.00 Uhr abends, Zeit zum Schlafen, aber ich will so tun, als hätte ich die Nacht hinter mir, um in den Rhythmus zu kommen. Also die Uhr vorstellen auf 5.00 Uhr morgens, Ortszeit in Singapur. Im Morgenlicht aus geringer Flughöhe: das Meer, Inseln, Schiffe.

Singapur: Der beste Flughafen der Welt

Der Singapore Changi Airport geht als Sinnbild für den Aufstieg Asiens durch. Platz eins im Skytrax-Ranking, seit Jahren. Der Flughafen ist extrem sauber und effizient. In den Terminals gibt es Spas, Kinos, Bäume, Teiche und sogar ein Tropenhaus, den „Enchanted Garden“, mit schillernd-bunten Schmetterlingen.

Für den Bustransfer von Terminal 2 nach 3 muss man einmal kurz vor die Tür. In der ersten Sekunde kriecht die tropische Wärme unter das T-Shirt, Bote einer anderen Weltgegend. Fühlt sich gut an. Der Körper spürt schon, was der Kopf erst noch verarbeiten muss.

Es folgt ein Upgrade in die Business Class für den Weiterflug nach Sydney. Ein unverhoffter Aufstieg in den Kosmos von Menschen, die als Leistungsträger bezeichnet werden oder auf andere Weise zu Wohlstand gekommen sind. These: Premium Economy reicht, wenn man Beinfreiheit will. „Die Business“ aber, wie sie von Vielfliegern genannt wird, ist für die Psyche. Autonomie, Status. Hier ist der Rotwein auch genau richtig, nämlich leicht gekühlt.

Sydney: Die Welt schrumpft

Bei der Einreise nach Australien, für die man vorab eine Genehmigung beantragen muss, wird eigentlich kein Stempel mehr in den Pass gedrückt. Bei der Frage danach lachen die Beamten. Willkommen in der Zukunft. Aber sie haben noch einen Stempel, der nun den Reisepass schmückt. Ein wichtiges Abzeichen für Globetrotter.

Hinter dem Schalter ist wieder kaum zu sagen, in welchem Land man sich befindet. Der Passagier bewegt sich durch eine Duty-free-Welt voller Markennamen: Ecco, Toblerone, IWC Schaffhausen. Der globale Imperativ lautet: Kaufen! Das ist fast nirgendwo so sichtbar wie am Flughafen (außer vielleicht in Singapurs Shopping-Malls).

An den Flughäfen dieser Welt zeigt sich, dass die Globalisierung den Reiz einer als exotisch wahrgenommenen Fremde zunehmend unterläuft. Die Welt rückt zusammen, die Ferne ist nicht mehr ganz so anders. Das ist einerseits begrüßenswert, da der Reisende gezwungen ist, Klischees und vielleicht auch Ressentiments in Frage zu stellen. Andererseits erzeugt es bei vielen mit Sicherheit auch Wehmut.

Pazifik: Mit Flugscham in die Südsee

Zwei Tage Stopover in Sydney, weiter nach Fidschi. Der Flug dauert 3:40 Stunden und ist ein Codeshare von Qantas und Fiji Airways. Relativ beengtes Sitzen mit einer 2-4-2-Anordnung der Plätze. Ich habe einen Mittelsitz. Pech gehabt.

Ankunft bei Dunkelheit in Nandi, der Jetlag ist noch nicht ganz verarbeitet. Was gleich auffällt, ist das Vogelgezwitscher. Und tatsächlich: Die Gangway ist voller Vögel. Noch eine Spur Abendrot am Horizont, drinnen begrüßt eine Band die Ankömmlinge. Ungewohnt schön.

Beim Blick auf die Weltkarte kann man den Eindruck bekommen, östlich von Australien sei die Welt zu Ende, aber das stimmt natürlich nicht. Dort wartet im Gegenteil ein echtes Sehnsuchtsziel: die Südsee mit Inseln, die so klangvolle Namen wie Rarotonga und Bora Bora tragen. Ein guter Grund, um einmal um die Welt zu fliegen. Oder nicht?

Seit der Klimawandel die öffentliche Debatte beherrscht, stehen Fernreisen unter verschärfter Beobachtung. Mit Flugreisen produziert der Einzelne besonders viel Kohlendioxid (CO2), das die Erde erhitzt. Er schädigt den Planeten. Wir sollten weniger fliegen, lautet die Forderung - und am besten gar nicht. Flugscham ist zum Schlagwort avanciert. Dabei war das Fliegen einmal ausschließlich positiv besetzt. Wer häufig flog, galt als weltläufig. Das hat sich geändert.

Nun gewinnt man an Flughäfen zwar nicht unbedingt den Eindruck, dass sich der Großteil der Bevölkerung für ihre Flugreisen schämt. Aber das Fliegen taugt auch nicht mehr bedingungslos zum Angeben. Immer häufiger muss man sich dafür rechtfertigen.

Tahiti: Tegel-Feeling im Paradies

Wer die Südsee sehen will, kommt nicht dorthin, ohne sehr lange im Flugzeug zu sitzen. Die Inseln lassen sich gut per Schiff verbinden. Doch zurück nach Deutschland geht es wieder mit dem Flieger.

Der Flug in die Heimat startet auf dieser Reise in Papeete auf Tahiti, einem legendären Eiland, das zu Französisch-Polynesien gehört. Air France bringt die Passagiere laut Bordkarte direkt nach Paris. Allerdings ist ein Zwischenstopp in Los Angeles nötig.

Der Flughafen von Tahiti ist schmucklos. Ventilatoren, eine offene Halle, Sonnenlicht fällt herein. Die wenigen Airline-Mitarbeiter an den Schaltern sind langsam. Die schwitzende Menschenschlange wächst. Hier, am anderen Ende der Welt und zugleich an einem ihrer schönsten Orte, fühlt sich der Reisende auf einmal wieder wie in Berlin-Tegel.

Die Stunden über dem Pazifik vergehen im Halbschlaf auf einem schmalen Economy-Sitz, ohne jeden Glamour oder den Reiz unterwegs zu sein, der doch eigentlich zum Reisen gehören sollte. Sie werden nichts hinterlassen in der Erinnerung. Anstrengend, das alles.

Los Angeles: Festung Amerika

Landeanflug auf Los Angeles bei Nacht, Tankstopp. Wir müssen einmal durch die Passkontrolle, das Gepäck bleibt im Flugzeug. Endlos erscheint die Warteschlange vor der Immigration. Jeder Passagier steht hier mindestens eine Stunde. „Sir, please move, Sir.“ Manche Urlauber staunen ungläubig, andere nehmen es mit Routine hin. Und dann: ein strenger Blick, eine kurze Frage, Fingerabdrücke abgeben.

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben das Fliegen verändert. Aus einem Symbol der Freiheit, dem Flugzeug, wurde ein Mordwerkzeug. Die Sicherheit wurde hochgefahren, mancher musste bei der Kontrolle gar seine Zahnpasta aus der Tube drücken. Die Unschuld war dahin, der Fluggast zum Verdächtigen geworden. Die Schriftstellerin Sibylle Berg schrieb über „Wunderbare Jahre: Als wir die Welt noch bereisten“ - vor dem Terror, vor den Schreckensnachrichten 24/7.

Von Los Angeles nach Paris sind es knapp zwölf Stunden. Ein halber Tag im Wartemodus. Hölle. Umsteigen am Charles de Gaulle Airport. Das Stück Quiche kostet hier 6,80 Euro - eine Frechheit, denke ich, aber ich muss etwas essen. Warten im Terminal, Warten vor dem Gate, im Flieger nach Berlin, in Tegel schließlich aufs Gepäck. Das schönste am Fliegen? Es ist das Ankommen. Heimkommen. Vielleicht mehr denn je.

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