Unterwegs in Malaysia Land der Gegensätze

Malaysia ist ein Land voller Gegensätze: Atemberaubende Natur auf der einen, hochmoderne Großstädte auf der anderen Seite. Zwischen Regenwald und Shopping-Malls fasziniert das Land durch eine berauschende Kombination aus Tradition und Moderne.

Ben Duncan kämpft mit einer vollen Blase. Mitten im Regenwald. Er kneift die Beine zusammen und tritt von einem Fuß auf den anderen. Als es gar nicht mehr geht, murmelt er eine kurze Entschuldigung an die Geister, die dem Baum innewohnen, vor dem er steht. Und erleichtert sich. Endlich. Nicht, dass er wirklich glauben würde, dass ihn die Geister seiner Vorfahren verfolgen könnten, er ist schließlich Christ. Aber so ganz genau weiß man es dann auch wieder nicht. Er geht da kein Risiko ein.

Ben Duncan ist das, was man wohl einen klassischen Malaien nennen könnte: Seine Wurzeln liegen bei den Ureinwohnern ebenso wie bei den chinesischen Zuwanderern. Sein Name ist durch die britischen Kolonialherren geprägt. Sein Gesicht spiegelt die wechselvolle Geschichte seines Landes, die Multikulti-Gesellschaft Malaysias wieder.

Der Tourguide bringt Touristen den malaysischen Teil Borneos näher, zeigt ihnen Kota Kinabalu, die Hauptstadt des Bundesstaates Sabah. Bens Großmutter war eine der letzten Priesterinnen, die sich auf die Beschwörung der bei der Kopfjagd traditionell erworbenen Schädel verstanden. Doch da ihre Nachkommen alle Christen waren, konnte und wollte sie ihr Wissen nicht weitergeben. „Sie hat die Geister freigelassen“, sagt der gedrungene Mann und zuckt ein bisschen verschämt mit den Schultern, während er die quittengelbe Sonnenbrille auf die Stirn schiebt. Und auch wenn die Religion der Ureinwohner Borneos längst nicht mehr die seine ist, so gibt es doch Dinge, die er nie tun würde. Oder solche, die für ihn selbstverständlich bleiben werden. Besonders in privaten Momenten mitten im Regenwald.

Malaysia
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Regenwald macht einen Großteil des Landes aus

Der Regenwald macht einen Großteil des relativ jungen Staates mit der langen Geschichte aus. 1963 wurde der Staat unabhängig, und ist doch bis heute Mitglied des Commonwealth. Er besteht geografisch aus zwei durch das Südchinesische Meer getrennten Landesteilen, der malaiischen Halbinsel im Westen und Teilen der Insel Borneo im Osten. Die ersten malaiischen Königreiche entstanden durch Häfen, die im 10. Jahrhundert gegründet worden sind.

Noch heute wird der König des Landes aus den Reihen der Landesfürsten, den Sultanen, bestimmt. Jede Region kommt einmal an die Macht, das Land versucht stets das labile Gleichgewicht zu halten. Zwischen den Regionen, den Religionen. Es sind die Gegensätze, die das Land ausmachen. Irgendwo zwischen dem Gestern und dem Morgen. Und immer ganz im Heute. Das spiegelt sich in jedem Gebäude, in der Landschaft, in der Metropole Kuala Lumpur, in jeder Faser des Landes und seiner Menschen wider. Im Kleinen wie im Großen.

Gewöhnungsbedürftig und doch verführerisch

Der Markt in Kota Kinabalu gehört zu den kleinen Wundern – er ist schlicht überwältigend. Es duftet nach Ingwer, Zitronengras und Limonen. Und es stinkt nach Durian, einer schmelzend süßen Frucht, die wie ein überfälliger Abfalleimer riecht und in öffentlichen Einrichtungen verboten ist. Aber wer das Fruchtfleisch vom harten Kern wie bei einer Litschi lutscht, der erlebt ein Aroma irgendwo zwischen Sahne, Karamell und Knoblauch. Gewöhnungsbedürftig und doch verführerisch. Der Thunfisch wird fangfrisch filetiert, der Chili häuft sich neben Melonen, Bananen, Krebsen, Hühnerinnereien und exotischen Früchten, die dem europäischen Besucher völlig fremd sind. Dazwischen kleine Garküchen mit einem unüberschaubaren Angebot. Preiswert und unbeschreiblich köstlich.

Gegenüber dem Markt, nur zehn Minuten mit dem Schnellboot quer über das Meer entfernt, liegt auf der kleinen Insel das Gaya Island Resort. Das Paradies. Ober zumindest so, wie man es sich vorstellt. Weiße Sandstrände, glasklares Wasser, Mangroven, Korallenriffe und Bungalows, die auf Betonstelzen im Regenwald versteckt liegen, und dem Gast jeden Luxus bieten, den er sich nur wünschen kann. Dort im Spa sind moderner Komfort und traditionelle Heilmethoden der Ureinwohner kein Gegensatz. Die Anwendungen pendeln zwischen Genuss und Schmerz und lassen den Gast so entspannt zurück, dass die Rückkehr in die Realität schwerfällt.

Einen Butler für jeden Gast

Dabei liegt das moderne Malaysia gerade mal eine Dreiviertel Stunde Flugreise entfernt. Kuala Lumpur schwankt zwischen Glitzer und Verfall, zwischen grüner Oase und Wolkenkratzern. Das Ritz Carlton ist ein Hort kolonialer Eleganz, der jedem Reisenden einen eigenen – wenn auch nicht englischen – Butler (der über eine eigene Visitenkarte verfügt!) zur Seite stellt. Die Gäste, vor allem wohlhabende Einheimische, Europäer, Araber und Chinesen, schätzen die unaufdringliche Eleganz.

Doch nur wenige Meter vom Eingang entfernt, einmal links um die Ecke, stehen Wohnblocks, die jedem Slum zur Ehre gereichen würden. Direkt am Unabhängigkeitsplatz des Landes liegt das Cricketclubhaus in Fachwerkoptik aus der britischen Kolonialzeit. Die moderne Nationalmoschee aus dem Jahr 1965 ist nur Meter entfernt vom historischen, reichlich baufälligen Bahnhof aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts und dem wieder zu neuem Glanz erstrahlten Hotel Majestic, wo verschleierte Frauen zwischen lilafarbenen und weißen Orchideen starken schwarzen Tee trinken und klitzekleine Gurkensandwiches und Pralinen naschen.

Viele, gerade arabische Besucher, kommen wegen der ausladenden Shopping Malls nach Kuala Lumpur – da, wo vermutlich alle weltbekannten Luxusmodeartikel verkauft werden. Wo es glitzert und funkelt. Wo Geld keine Rolle spielt. Wo die Petronas-Towers als Wahrzeichen dafür stehen, dass in diesem Land alles möglich ist. Niemand hätte Malaysia zugetraut, die damals höchsten Gebäude der Welt zu errichten. Wo man vom 86. Stock einen Blick über die scheinbar unkontrolliert wuchernde und dennoch grüne Stadt hat, ein Symbol für den ständig ausgetragenen Kampf zwischen wirtschaftlichem Wachstum und dem Schutz der einmaligen Natur.

Der Gesetzesbruch wird geradezu genussvoll zelebriert

Geld hat man in Kuala Lumpur. Oder eben nicht. Für Letztere gibt es Chinatown, im Herzen der Stadt, nur wenige Minuten von den Zwillingstürmen entfernt. Dort, wo der Verfall malerisch gelebt, der Gesetzesbruch geradezu genussvoll zelebriert wird. Auch hier gibt es Mont Blanc, Levis, Burberry und Rolex. In unterschiedlich gut gemachten Fälschungen, wie die Händler nicht ohne Stolz betonen. Die „better ones“ – also die besser gemachten Fälschungen – haben Seriennummern und werden nur im Hinterzimmer der schummrig beleuchteten Straßenstände verkauft, hinter dem Tattoo-Studio, das chinesische Schriftzeichen ebenso wie einheimische Symbole unter die Haut ritzt.

Hemmungen sind den Händlern fremd. Feilschen gehört zum Geschäft. Hier verkaufen sie nur beste Imitate, Fälscherehre. In Kim Lian Kees Restaurant jedoch, mitten zwischen nachgemachten Handtaschen, Schals, Uhren und Koffern mit großen Namen, ist alles echt. Die Plastikteller, das amerikanische Bier und die Familienangestellten, die für den reibungslosen Ablauf in dem Restaurant sorgen. Dafür dürfte Kim so ungefähr das beste chinesische Essen außerhalb der Grenzen ihrer Vorfahren servieren. Hühnerfüße und schwarze Hokkien mee, völlig unzureichend übersetzt mit Nudeln mit Schweinefleisch in Soße, werden dort formlos aber schmackhaft auf den Tisch gebracht.

Wenn die Händler rund um ihr Lokal gegen 22 Uhr langsam ihre Waren einräumen, bringt auch Kim die letzten Liter-Bierflaschen zu den Gästen ins Freie; ihre Söhne spritzen derweil das Restaurant mit dem Wasserschlauch aus. Doch Einheimische und Touristen sitzen weiter auf wackligen Stühlen nebeneinander in der tropischen Schwüle und genießen diese besondere Atmosphäre. Dann bringt Kim die für die deutschen Besucher ungewohnt niedrige Rechnung und legt sie auf den leicht verklebten Tisch. Spätestens jetzt ist der Besucher in Malaysia angekommen. Irgendwo zwischen dem Gestern und Morgen und ganz im Heute.

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