Zeeland Durchs Polderland mit dem Rad von Meer zu Meer

Zeeland · Die Provinz Zeeland im Südwesten der Niederlande ist nicht ohne Grund ein beliebtes Urlaubsziel. Mit dem Rad kann man einiges entdecken.

 Typisch Niederlande: Der Radweg am Deich von Vlissingen führt an einer Windmühle vorbei

Typisch Niederlande: Der Radweg am Deich von Vlissingen führt an einer Windmühle vorbei

Foto: Ulrike Maria Hund

Weite Dünen, weiße Strände, endloses Meer: Kaum jemand zwischen Rhein und Ruhr hat nicht schon einen Sommertag in Zeeland verbracht. Zeeland kennen wir wie unsere Westentasche, so meinen wir. Aber wer kennt schon das Polderland zwischen Western- und Ostenschelde? Verträumte Ringdörfer mit mittelalterlichen Kirchen. Liebevoll restaurierte Bauernhöfe mit weiß bemalten Hoftoren. Alte Saumpfade durch Salzwiesen und Moore, reich an Schmetterlingen und Entengeschnatter, blühende Apfelplantagen und plötzlich wieder ein Ausblick auf die blau glänzende Schelde mit ihren Containerschiffen und weiten Stränden.

Einst bestand Zeeland, die westlichste Provinz der Niederlande, aus unzähligen Inseln, viele von ihnen nur sandige Erhebungen im weiten Mündungsdelta der Schelde. Das Land gehörte den Grafen von Flandern und Holland. Handelsschiffe verkehrten zwischen England und den aufstrebenden Städte Antwerpen und Gent. Die Inselbewohner schützten ihr Land mit Dämmen aus Grasnarben gegen das Meer. Die ersten Ringdörfer entstanden. In ihrer Mitte eine Backsteinkirche mit hohen gotischen Fenstern und nadelspitzem Kirchturm. Daneben ein Löschteich, der zugleich als Viehtränke diente, darum herum wuchsen kreisförmig Bauern- und Handwerkerhäuser aus rotem Ziegelstein.

Ein Stück unbekanntes Zeeland

Nisse in Zuid-Beveland ist so ein Dorf. Es hat bis heute seine ursprüngliche Gestalt bewahrt. Dort wartet Marcel van der Borgt auf uns. Der ehemalige Geographielehrer hat sich vorgenommen, seinen Besuchern ein Stück unbekanntes Zeeland zu zeigen. Zu Fuß und per Fiets – das sind keine nostalgischen Hollandräder, sondern moderne E-Bikes, mit denen wir ihm über Küstenwege und in Dörfer durch Naturschutzgebiete folgen.

An diesem Vormittag ist der Kirchplatz noch still. Ein paar Enten watscheln neugierig über die Wiese vor dem weißgestrichenen Musikpavillon. Marcel holt unterdessen seine Landkarte heraus und zeigt uns unsere Route. Etwa 50 Kilometer wollen wir heute fahren, von der Wester- zur Oosterschelde, über Deiche, stille Landstraßen und Feldwege. Die einzigen Hügel, die wir zu überwinden haben, sind die bis zu zwei Meter hohen Deiche, aber kaum haben wir den Kirchplatz verlassen, schlägt uns ein heftiger Wind entgegen, und wir sind froh über die E-Bikes, mit denen wir mühelos dem Gegenwind trotzen. Vom Deich aus schweift der Blick frei über eine schachbrettartige Landschaft mit Äckern und Obstplantagen, sumpfigen Wiesen und Mooren voller Möwen, Reiher und schnatternder Gänse. Im Lauf der Tage lernen wir diese Landschaft mit Marcels Augen zu lesen. Bald unterscheiden wir die abgeflachten Ränder der Deiche, an denen früher das Meer leckte und heute grauglänzendes Neuland liegt, von den Wiesen und Dörfern hinter der steileren Deichseite. Der Meeresspiegel ist im Laufe der Jahrhunderte gestiegen, die Deiche wuchsen, und so liegt das alte Land bis zu zwei Meter tiefer als das Neuland. Polder um Polder, Deich um Deich wuchs so das Land zusammen.

Dörfer unterscheiden sich in ihren Dialekten

Auch wenn kein Meer mehr die Inseln voneinander trennt, so unterscheiden sich die Dörfer noch immer in ihren Dialekten und Traditionen. Noch bis vor 20 Jahren trugen die Dorffrauen selbst im Alltag noch ihre Trachten. An Kopfschmuck und Form der Haube ist zu erkennen, ob die Trägerin katholisch oder evangelisch ist. Offiziell war der Katholizismus bis 1870 verboten, aber man fand eine niederländische Lösung: Sie mussten mehr Steuern zahlen. „Poldern“ nennt man das. Es bedeutet so viel wie „Kompromisse finden“, denn gegen das Meer mussten die Menschen trotz aller Differenzen zusammenhalten.

 Moore und Salzwiesen bieten verschiedenen Tierarten von Gänsen bis hin zu Schmetterlingen ein Zuhause

Moore und Salzwiesen bieten verschiedenen Tierarten von Gänsen bis hin zu Schmetterlingen ein Zuhause

Foto: Ulrike Maria Hund

Mit dem Bau der Eisenbahn Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein Damm vom Festland durch die Schelde gebaut. Zuid-Zeeland und Walcheren wuchsen zu einer Halbinsel zusammen. Auf der Westernschelde leiten Lotsenboote riesige Containerschiffe zu den Häfen von Vlissingen, Antwerpen und Gent. Windräder säumen die Küste. Wer ein Fernglas zur Hand hat, kann bei Ebbe schwarze Robben beobachten, die sich unbeeindruckt vom regen Schiffsverkehr auf den Sandbänken tummeln. Die Osterschelde jedoch ist bis heute ein ruhiges Gewässer. In der flachen Bucht bei Yerseke werden seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert nach französischem Vorbild Austern und Muscheln gezüchtet. Etwa 15 Familien in Yerseke pflegen bis heute diese Tradition.

Grachtenhäuser und Fischerhafen in Goes

Pulsierendes Zentrum von Zuid-Zeeland ist die alte Handelsstadt Goes. Grachtenhäuser liegen um einen verträumten Fischerhafen. Prächtige Bürgerhäuser versammeln sich am Markt ums Rathaus und den hochgotischen Dom. Selbst ein Armenspital leisteten sich die wohlhabenden Bürger der Stadt. Heute sind in die alten Handelshäuser am Markt schicke Cafés und trendige Restaurants eingezogen.

Was wäre Zeeland ohne seine Windmühlen? Eine Müllergilde hat sich des historischen Erbes angenommen, restauriert und betreibt die alten Mühlen. Der jüngste Müller ist 14, der älteste schon über 70. Trotzdem steigt er behände die steilen Holzstufen im Inneren der Mühle hinauf, Stockwerk um Stockwerk im immer schmaler werdenden Turm, bis wir oben ankommen, wo die Mahlsteine über ein hölzernes Zahnrad von den Flügeln des Windrades angetrieben werden. Sonntags ist im protestantischen Heinikenszand Ruhetag, und so können wir ohne den Lärm der Mühlsteine die Technik bestaunen. Von der Plattform lassen wir zum Abschied unseren Blick schweifen, weit hinaus über das verträumte Land zwischen den Meeren.

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