Bonner Immobilienmesse Ein System der gegenseitigen Hilfe

BONN · Gerd Hönscheid-Gross spricht beim GA-Messetalk zur 5. Bonner Immobilienbörse am 27. August im Telekom Dome über die Vorteile des Mehrgenerationen-Wohnens.

 Wohnexperte Gerd Hönscheid-Gross.

Wohnexperte Gerd Hönscheid-Gross.

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Herr Hönscheid-Gross, wie sieht Mehrgenerationen-Wohnen aus?

Gerd Hönscheid-Gross: Das kann in sehr unterschiedlichen Formen realisiert werden. Gemeinsame Merkmale sind, dass sich Menschen unterschiedlicher Altersgruppen verbinden, um im gemeinsamen Wohnen und Leben befriedigende alltägliche Sozialbeziehungen aufzubauen und sich gegenseitig zu unterstützen. Professionelle Pflege und Betreuung werden dadurch nicht ersetzt, sondern im besten Fall ergänzt. Ein kritisches Element ist das Mitwohnen von jungen Familien mit Kindern. Erst wenn dies in ausreichendem Maße gelingt, kann vom Mehrgenerationen-Wohnen gesprochen werden. Zentrale Bedeutung haben dabei Gemeinschaftsräume wie ein großer Versammlungsraum mit Küche.

Welche konkreten Vorteile bringt diese Wohnform?

Hönscheid-Gross: Die Vorteile liegen in der Ausgestaltung des täglichen Zusammenseins. Das System der gegenseitigen Hilfe erfordert zwar Kommunikation und Konfliktfähigkeit, ist aber letztendlich für alle von Vorteil. Das soziale Leben entwickelt eine große Vielfältigkeit, Aufgaben werden gemeinsam erledigt, und ältere Generationen erleben das Heranwachsen der Kinder. Junge Eltern bekommen Spielraum und unterstützen die Älteren.

Wie wurde das bei der Amaryllis eG und der Villa Emma eG umgesetzt?

Hönscheid-Gross: Die Amaryllis eG und die Villa Emma eG haben sich für die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft entschieden, weil die gemeinschaftlichen Ziele so am ehesten erreicht werden können. Neun Jahre Erfahrung mit der Amaryllis eG beziehungsweise fünf mit der Villa Emma eG Erfahrung bestätigen diese Annahme.

Kann man die erreichten Ziele in Euro ausdrücken?

Hönscheid-Gross: Schwerlich. Genossenschaftliches Wohnen stellt die Interessen der Bewohner den Vordergrund und nicht etwa die Profitabilität der Wohnanlage. Beide Projekte bieten neben freifinanzierten Wohnungen auch öffentlich geförderten Wohnraum an. Die Miete liegt schon heute in beiden Projekten etwa zehn bis 15 Prozent unter dem örtlichen Mietspiegel; wobei dieser die Kriterien des Mehrgenerationen-Wohnens nicht berücksichtigt. Für Mitglieder, die die erforderliche, und bei Auszug rückzahlbare genossenschaftliche Pflichteinlage nicht selbst finanzieren können, gibt es verschiedene Alternativfinanzierungen.

Welche Motive für alternativen Wohnformen gibt es noch?

Hönscheid-Gross: Die Frage nach alternativen Wohnformen im Alter berührt in erster Linie die Frage der Versorgungssicherheit auch bei einem zukünftigen Pflegebedarf. Zudem gilt es zu klären, in welchem Maße sich Betroffene auf andere Menschen einlassen wollen. Gerade der Aspekt der sozialen Ein- und Anbindung kann nicht von Pflegediensten abgedeckt werden. Verschärft wird die Situation, wenn ältere Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihre Wohnung zu bewirtschaften. Da oft Nachbarn nur in begrenztem Umfang diese Lücke füllen können, besteht auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine zunehmende Nachfrage nach alternativen Wohnformen. Um dem Rechnung zu tragen, gibt es verschiedene Ansätze.

Welche zum Beispiel?

Hönscheid-Gross: Zum einen das Investorenmodell. Dabei kooperiert ein Investor mit einer Gruppe, die ihre eigenen Ziele formuliert und sich eine Rechtsform gibt, in der Regel ist das ein Verein. Der Investor finanziert und errichtet die Gebäude und räumt der Gruppe bestimmte Privilegien – unter anderem bei der Wohnungsbesetzung und der Hausverwaltung – ein. Die Wohnungen werden individuell als Eigentumswohnung verkauft oder vermietet. Die Mitgliedschaft in der Gruppe ist freiwillig. Die Vorteile sind: Das Geschäftsrisiko wird vom Investor übernommen. Individuelle Vermögensbildung ist bei Wohnungskauf möglich und die Angebote der Gruppe können gleichzeitig in Anspruch genommen werden. Nachteile sind: Der Aufbau einer Gemeinschaft wird durch Nicht-Mitgliedschaft und Nicht-Teilhabe eines Teils der Bewohner aufgrund der Freiwilligkeit in der Gruppe erschwert.

Und der zweite Ansatz?

Hönscheid-Gross: Ist das Selbstverwaltungsmodell. Eine Gruppe findet sich, definiert ihre Ziele, gibt sich eine Rechtsform, etwa eine Genossenschaft. Diese errichtet oder erwirbt die Immobilie und verwaltet sich selbst. Die Vorteile sind: Die Gruppe identifiziert sich mit der Immobilie und entwickelt ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Nachteilig kann sein, dass die Übernahme des Geschäftsrisikos und der Selbstverwaltung eine Belastung darstellt.

Gibt es so etwas wie Alten-WGs?

Hönscheid-Gross: Die Schaffung von Alten-WGs hat sich nur sehr beschränkt durchgesetzt, da sie zu wenig Rückzugsmöglichkeit bieten, die gerade für ältere Menschen von größter Bedeutung sind. Alle Modelle alternativer Wohnformen für ältere Menschen gehen davon aus, dass ihnen eine abgeschlossene eigene Wohnung zur Verfügung steht.

Wie sieht es mit Plätzen für alternative Wohnformen für Senioren in der Region aus?

Hönscheid-Gross: Die Nachfrage nach alternativen Wohnformen im Alter ist in den vergangenen zehn Jahren erheblich angestiegen und führte zu einer stetigen Ausweitung des Angebots. Dennoch ist die Nachfrage deutlich höher als das Angebot. Die Beratungsstelle innovative Wohnformen der Stadt Bonn vermittelt Kontakte zu neuen gemeinschaftlichen Wohnprojekten (Mail: innovative-wohnformen@bonn.de)

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