Kritik an der Corona-Warn-App Ein Update ist nicht genug

Analyse | Berlin · Hohe Entwicklungskosten, eingeschränkte Funktionalität und technische Mängel: Der Nutzen der Corona-Warn-App ist umstritten. Jetzt gibt es Neuerungen und weitere Funktionen. Reichen sie aus?

 Eine Frau hält ein Smartphone mit dem Hinweis der Corona-Warn-App auf ein erhöhtes Risiko.

Eine Frau hält ein Smartphone mit dem Hinweis der Corona-Warn-App auf ein erhöhtes Risiko.

Foto: dpa/Christoph Dernbach

Nun also doch: Die Corona-Warn-App erhält weitere Funktionen. Nach einem Update sollen ab diesem Montag die Nutzer die Möglichkeit haben, nach einem positiven Test freiwillig eine Art Symp­tom-Tagebuch zu führen. Dies soll dabei helfen, die Risikoberechnung zu verbessern. Außerdem soll die App auch in etlichen anderen europäischen Ländern funktionieren. Gerade rechtzeitig, könnte man angesichts der Infektionszahlen sagen. Oder auch: endlich.

Die zu Beginn so hoffnungsvoll gestartete Corona-Warn-App war zuletzt zunehmend in die Kritik geraten angesichts der hohen Kosten von mehr als 60 Millionen Euro, der eingeschränkten Funktionalität und einiger technischer Mängel. Anfangs traten immer wieder Fehlermeldungen auf, zuletzt war es die Benachrichtigung von Getesteten durch die Labore, die über die App noch immer nicht zu 100 Prozent zuverlässig funktionierte.

Große Erwartungen an die App

Die Euphorie, die den Start der App im Juni begleitet hatte, war groß. Nach langem Ringen hatte sich eine dezentrale Lösung mit hohem Datenschutzstandard durchgesetzt. Fast 20 Millionen Menschen luden sich die App bis heute herunter, Datenschützer lobten das Konzept. Denn statt GPS-Daten zu sammeln setzt die App auf den drahtlosen Standard Bluetooth, mit dem Geräte kommunizieren können, die sich in nächster Nähe zueinander befinden. Die App verfolgt nicht jeden Schritt des Nutzers, sondern ermittelt lediglich Kontakte in unmittelbarer Nähe, die dann auch noch dezentral auf dem Smartphone anonymisiert gespeichert werden. So können Kontakte bei einem positiven Testergebnis bei maximalem Schutz der Privatsphäre gewarnt werden. Denn die Kontaktpersonen erfahren nur von der Gefahr, nicht aber, von wem sie ausgegangen ist.

In der Praxis führt das allerdings zu einer skurrilen Situation. Fragt man beim Bundesgesundheitsministerium nach, wie viele Infektionen über die App gemeldet wurden, so muss ein Sprecher die Antwort schuldig bleiben: „Da die App auf einem dezentralen Ansatz beruht, wissen wir nicht, wie viele positive beziehungsweise negative Ergebnisse übermittelt wurden. Auch die Zahl derer, die über die App gewarnt wurden, ist aus diesem Grund nicht bekannt.“

Das ist gut aus Sicht des Datenschutzes, aber schlecht für Gesundheitsämter, denen die App im Alltag dadurch gar nicht hilft bei ihrer Aufgabe, Infektionsketten nachzuvollziehen. Manch einer, wie der Philosoph Julian Nida-Rümelin, wünschte sich daher zuletzt eine sogenannte Tracing-App nach dem Vorbild Südkoreas, bei der – zulasten von Datenschutz und Privatsphäre – die Bewegungen der Menschen nachvollzogen werden können. Dafür kam das Land bislang ohne Lockdown durch die Krise, während dieses Szenario in Deutschland aktuell ein zweites Mal droht. „Wenn sich die Lage zuspitzt, sollten wir unbedingt ins 21. Jahrhundert kommen und diese digitalen Möglichkeiten nutzen“, sagte Nida-Rümelin zuletzt in den „Tagesthemen“.

Wie Start-Up-Denken helfen könnte

Der Informatiker Henning Tillmann, Co-Vorsitzender des SPD-nahen Thinktanks D21, hat einige Vorschläge gemacht, wie man die App um sinnvolle Funktionen erweitern könnte, ohne die grundlegenden Eigenschaften von Datenschutz und Dezentralität aufzugeben. So könnten etwa freiwillig mehr Informationen im Falle eines positiven Testergebnisses an die anderen Kontakte übermittelt werden, etwa das Datum. Dies würde Betroffenen mehr Informationen geben, um ihrerseits Kontakte zu warnen – auch solche, die vielleicht nicht die App haben.

Vielleicht würde es helfen, häufiger wie ein Start-up zu denken – und die Ziele maximal hoch zu stecken. In so einem Fall könnte eine App dabei helfen, Veranstaltungen wieder möglich zu machen und den Tourismus in Gang zu bringen. Sie würde auch sogenannte Superspreader-Events, bei denen der Erreger speziell über Aerosole in der Luft verteilt wird, erkennen können – und vielleicht sogar währenddessen davor warnen. Sie könnte vielleicht sogar regelmäßig daran erinnern, dass man mal wieder Stoßlüften sollte, wenn man sich längere Zeit an einem Ort aufhält. Und wieso sollte es nicht auch möglich sein, Informationen über örtlich geltende Regelungen zu hinterlegen, um in dem aktuell geltenden Regelwust zumindest ein bisschen Durchblick für den Bürger zu schaffen?

Über die App könnte man nach der Stadt suchen, in der man sich gerade befindet – und würde sofort angezeigt bekommen, was erlaubt ist und was nicht. Oder, noch verwegener, sie könnte sogar eine Funktion bieten, mit der man sich in Restaurants einchecken könnte, so dass das Ausfüllen von Kontaktformularen aus Papier entfällt. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, anonym seine Anwesenheit mitzuteilen und trotzdem geschützt zu sein, würde vielleicht der eine oder andere darauf verzichten, Phantasie-Namen aufzuschreiben.

Die App wird das Abstandhalten, das Händewaschen und den Mundnasenschutz nicht ersetzen, aber wenn man ihr volles Potenzial entfaltet, kann sie sicherlich mehr sein als das, was der Präsident des Robert-Koch-Institus, Lothar Wieler, in ihr sieht: „Ein kleines Werkzeug, das einen Beitrag dazu liefert, dass wir die Pandemie besser beherrschen können.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort