Dirk Kaftan über Orchester-Neustart „Das ist wie neu laufen lernen“

Interview | Bonn · Bonns Generalmusikdirektor Dirk Kaftan spricht im GA-Interview über den Neustart des Beethoven Orchesters. Am Wochenende ist es mit drei Konzerten zu erleben: am Freitag im Bonner Opernhaus, am Samstag mit „Beethoven pur“ in der Telekom-Zentrale und am Sonntag in der Rheinaue mit Peter Brings als Erzähler in „Peter und der Wolf“.

 „Wir müssen füreinander offen bleiben“: Dirigent Dirk Kaftan.

„Wir müssen füreinander offen bleiben“: Dirigent Dirk Kaftan.

Foto: Irène Zandel

Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die neue Saison?

Dirk Kaftan: Das ist wie neu laufen lernen. Verbunden mit einer kindlichen Freude daran. Aber es gibt auf der anderen Seite sehr viele Fragezeichen. Wie reagiert das Publikum auf die neue Situation? Wie ist es überhaupt, jetzt wieder für die Menschen Musik zu machen? Spielt man vielleicht anders? Hört man anders? — Ich glaube ja! Es wird aber vor allem darum gehen, die Menschen zurückzugewinnen und ihnen das Vertrauen zu vermitteln, dass es okay ist, in ein Konzert zu gehen.

„Okay“ im Sinne von sicher?

Kaftan: Das zum einen. Aber wir stellen uns gleichzeitig auch viele Fragen, was wir aus dieser Zeit für uns mitnehmen und das unsere Konzertgewohnheiten nachhaltig beeinflussen wird.

Was könnte das sein?

Kaftan: Ein Beispiel: Wir erleben durch die Corona-Krise eine Renaissance der Hausmusik und der kleinen Formate. Das wird tatsächlich Früchte tragen. Die Musik kehrt wieder in die Häuser zurück. Andererseits fragt man sich aber auch, was von dem, was wir bisher gemacht haben, noch zeitgemäß ist? Was möchten wir unbedingt erhalten, und wo müssen wir uns anders aufstellen? Wir werden darüber nachzudenken haben, wie wir in Zukunft mit dem Ritus des Konzerts umgehen. Es muss ja nicht jedes Konzert zweieinhalb Stunden dauern. Die Programme werden unter den Corona-Schutzbedingungen zwangsläufig kürzer, was den Menschen die Möglichkeit gibt, den Abend auch noch mit anderen Dingen zu verknüpfen. Essen gehen, oder einen Club besuchen. Das sind Dinge, die wir fortführen möchten. Und bei denen wir mit dem Publikum eine andere Art der Kommunikation herstellen.

„TKKG“ war eine bahnbrechende Premiere

Gehört auch die Frage der digitalen Formate da hinein?

Kaftan: Damit haben wir auch sehr viel experimentiert. Und dabei auch die Grenzen der Digitalisierung gegenüber dem Live-Erlebnis festgestellt. Die technischen Bedingungen müssen so sein, dass sie unserem Qualitätsanspruch standhalten können. Ein tolles Beispiel dafür ist das Junge Theater Bonn mit seinem, wie ich finde, sehr gelungenen Online-Theater „TKKG — Gefangen in der Vergangenheit“. Das ist zugleich digital und live und deshalb eine wirklich bahnbrechende Premiere gewesen. Darum geht es bei der Digitalisierung: Dass wir lernen, kreativ mit den Möglichkeiten umzugehen. Ich war auch sehr begeistert von dem Kopfhörerkonzert des Jazzfests, das ich mir angehört habe.

Sie werden erst einmal vor weniger Publikum spielen müssen. Das Hygienekonzept im Opernhaus etwa sieht ein sehr auf Lücke besetztes Auditorium vor. Wie gehen Sie damit um?

Kaftan: Damit unterschreiten wir ja sogar die Vorschriften. Das ist der Weg, den Leuten zu zeigen, dass sie wirklich nichts zu befürchten haben. Weniger als beim Einkaufen. Aber das kann nur eine Übergangslösung sein. Das trägt sich ja auch finanziell nicht. Es wird auf jeden Fall eine andere Atmosphäre sein. Ich habe auch die Vermutung, dass im Konzert generell weniger gehustet wird als vor Corona. Aber natürlich hungern wir danach, wieder vor vollem Haus spielen zu können. Wir sind ja auch verwöhnt durch die guten Besucherzahlen in den Monaten vor der Krise.

Wie wichtig ist es für Sie, in dieser besonderen Situation den Rückhalt durch die Stadt zu haben? Ihr Vertrag ist ja gerade erst verlängert worden.

Kaftan: Das ist eine tolle Sache. In allen Parteien war das Bekenntnis zum Orchester zu spüren. Es war eine Entscheidung für etwas, was immer schwerer ist, als sich gegen etwas zu entscheiden. Die Stadt hat damit bewirkt, dass alle Künstler — auch die aus der freien Szene — von einem wichtigen Signal sprechen. Das rechne ich der Stadt hoch an.

Große Dankbarkeit bei den Musikern

Wie waren die ersten Proben? Wie war die Stimmung?

Kaftan: Es sind schon besondere Proben gewesen. Durch die Abstände macht man anders Musik. Es ist sehr viel ruhiger, weil jeder intensiv lauschen muss, um mitzukriegen, was der andere macht. Und es ist durch die Bank eine große Dankbarkeit zu spüren, dass man das überhaupt darf.

Findet sich auch Zeit für Gespräche mit einzelnen Musikern?

Kaftan: Wir haben mit einer Orchesterversammlung begonnen, wo wir tatsächlich nur gesprochen haben. Während der Wochen zuvor hatten wir Kontakt über Zoom-Konferenzen. Die Gespräche mit den Musikern sind zum Teil sehr bewegend.

Lässt sich beobachten, dass die Musiker individuell ganz unterschiedlich auf die Krise reagieren?

Kaftan: Das ist wie in der Gesellschaft überhaupt. Es gibt Menschen, die haben durch Corona Angehörige verloren — es sind ja viele Nationen im Orchester vertreten. Manche, die zu einer Risikogruppe gehören, haben Angst, andere finden eher, dass man die Maßnahmen kritisch hinterfragen sollte. Trotzdem gehören sie alle zusammen. Ich glaube, die große Herausforderung der Gesellschaft besteht darin, niemanden in eine Ecke zu stellen und offen füreinander zu bleiben. Das ist auch im Orchester so.

Wie empfinden Sie das Beethovenjahr? Eher als Enttäuschung, oder gibt es auch Dinge, die Sie positiv sehen, die einem vielleicht sogar Kraft geben in dieser Zeit?

Kaftan: Vor dem Sommer habe ich in einem tiefen Loch gesteckt. Weil alle unsere Träume und Pläne zerbröselt sind. Das war wirklich hart. Im Moment aber muss ich doch manchmal ein bisschen lächeln. Denn Beethoven hat ja trotzdem Geburtstag. Dass wir uns angemaßt haben, ihn zu feiern und dem gerecht zu werden, hat das Schicksal dann doch anders gesehen. Die Situation passt irgendwie auch zu Beethoven: das Widerspenstige und das Nicht-unter-Kontrolle-habende, wie es uns die Natur gerade zeigt. Mir gelingt es jetzt, ein bisschen mehr, die Situation von außen zu betrachten. Und dadurch auch nachhaltige Ideen zu spinnen, wie es nach dem Jubiläumsjahr weitergehen kann. Ich will nicht einfach den Geburtstag Beethovens weiterfeiern. Aber ich möchte die guten Ideen über eine längere Zeit weiterentwickeln und Bonn als eine Beethovenstadt etablieren, die sich nicht nur von Jubiläum zu Jubiläum hangelt, sondern jeden Tag die Ideale Beethovens lebt.

Stärkung der lokalen Kultur

Schaut man nach England oder Amerika, sieht man, dass die internationale Kultur- und Musikszene insgesamt noch stärker leidet als die deutsche. Führt das dazu, dass die lokalen Szenen immer wichtiger werden?

Kaftan: Ganz klar, ja. Man wird dabei zum Beispiel auch die Popularkultur vom Jazz bis zur Popmusik stärker in die Förderung einbinden müssen. Die haben es in dieser Krise zum Teil schwerer als wir. Etwas anderes aber konnte man schon länger beobachten: Dass in der Klassik der Starkult an Bedeutung verliert. Das wird die Ensemblekultur und die lokale Kultur extrem stärken. Die Menschen gehen wieder mehr dazu über, mit ihren Künstlern leben zu wollen.

Karten für die Konzerte gibt es bei www.bonnticket.de

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