Fragen und Antworten Ist in Duma tatsächlich Giftgas eingesetzt worden?

Damaskus/Den Haag · Zu dem vermutlichen Angriff mit Giftgas auf Duma gibt es viele offene Fragen, die die OPCW-Experten beantworten sollen. Aus den bekannten Informationen lassen sich aber bereits einige Erkenntnisse gewinnen.

Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) sollen ermitteln, ob am 7. April in der damals noch von Rebellen kontrollierten Stadt Duma Giftgas eingesetzt wurde.

Der Westen macht dafür die syrische Regierung verantwortlich. Syrien und sein Verbündeter Russland weisen das zurück. Die OPCW-Experten stehen unter enormem Zeitdruck, um Spuren zu sichern. Nachdem Sicherheitsmitarbeiter der UN bei einer Erkundungsfahrt in Duma unter Beschuss geraten waren, ist unklar, wann die Experten ihre Untersuchungen aufnehmen können.

Ist in Duma Giftgas eingesetzt worden?

Davon ist nach bisher vorliegenden Informationen auszugehen. Augenzeugen berichteten, die Stadt Duma sei am 7. April mehrmals bombardiert worden. Der folgenschwerste Angriff ereignete sich demnach gegen etwa 19.30 Uhr Ortszeit nahe dem Märtyrerplatz. Danach tauchten in sozialen Medien Bilder und Filme von Opfern auf, die Anzeichen von einem Giftgasangriff hatten, etwa weißen Schaum vor dem Mund oder in der Nase. Die Rettungsorganisation Weißhelme erklärte auf Twitter, eine Fassbombe mit einem "chemischen Mittel" sei abgeworfen worden, Dutzende Menschen seien ums Leben gekommen.

Diese Angaben stehen in Einklang mit Aussagen von Augenzeugen. So berichtete ein Fotograf aus Duma, er habe im Erdgeschoss eines Gebäudes 25 bis 30 Tote gesehen. "Wir sahen Schaum, der aus ihrem Mund kam. Alle ihre Augen waren geöffnet. Es war schrecklich." Er selbst habe danach an Atemproblemen gelitten.

Auch die auf investigative Recherche spezialisierte Internetseite Bellingcat kommt zu dem Schluss, es sei Giftgas eingesetzt worden. Dafür wertete sie Bilder, Videos und Augenzeugenberichte aus. Demnach gab es die meisten Opfer in einem einzigen Gebäude. Ein Helfer der Weißhelme berichtete der Organisation "Violations Documentation Center in Syria" (VDC): "Einige versuchten offensichtlich, ins Freie zu kommen, denn wir fanden ihre Körper auf der Treppe."

Wie viele Todesopfer gab es?

Zur genauen Zahl gibt es unterschiedliche Angaben. Die Weißhelme berichteten zunächst von mehr als 150, mussten dann aber einen Fehler einräumen und korrigierten die Zahl auf inzwischen 43. Die Vereinten Nationen sprechen unter Berufung auf Berichte von mutmaßlich 49 Getöteten. Bellingcat kommt nach Auswertung von Bildern auf mindestens 34 Tote.

Welches Giftgas könnte in Duma eingesetzt worden sein?

Wie andere Augenzeugen berichtete auch ein Sanitäter, der von der deutschen Hilfsorganisation "Adopt a Revolution" zitiert wurde, von starkem Geruch nach Chlor: "Woher wir wussten, dass es Chlorgas ist? Zunächst mal am Geruch, wir kennen diesen Geruch inzwischen."

Bellingcat wertete zudem Bilder aus, auf denen zwei gelbe Gaszylinder zu sehen sind. Einer soll auf dem Dach des Gebäudes gefilmt worden sein, in dem es viele Opfer gab. Derartige gelbe Gaszylinder seien in Syrien schon bei früheren Angriffen mit Chlorgas eingesetzt worden, schreibt Bellingcat.

Ein Arzt berichtete gleichzeitig VDC, er habe bei Patienten Symptome gesehen, die nicht denen bei einem Angriff mit Chlor, sondern mit einem Nervengas ähnelten. Der deutsche Chemiker Ralf Trapp, Experte der OPCW, sagte der Deutschen Presse-Agentur, Fotos von Todesopfern deuteten darauf hin, dass in Duma Saringas eingesetzt worden sein könnte. Sarin sei "noch nach Wochen nachweisbar", ergänzt er. Zum Beispiel in Bodenproben, aber auch im Blut der Opfer.

Was ist mehr als zehn Tage nach dem Anschlag überhaupt noch zu finden?

Das hängt davon ab, ob die Ermittler der OPCW auch Zugang zu der Stelle bekommen, an der die Bombe explodiert sein soll, und ob sie auch Zeugen und Opfer befragen dürfen. Spuren könnten sie noch finden, sagt Trapp. "Zum Beispiel kann man noch Waffenreste finden mit Spuren des chemischen Kampfstoffes." Sie könnten Bombensplitter finden oder Kanister. Die Ermittler können auch Opfer medizinisch untersuchen nach Symptomen, die auf bestimmte Giftstoffe hindeuten. Etwa Schaum vor dem Mund, Erstickungen, Zuckungen des ganzen Körpers.

Als möglicher Kampfstoff wird Chlorgas genannt. Ist das überhaupt noch nachzuweisen?

Chlorgas ist wichtig für die Trinkwassersäuberung und nicht verboten, wohl aber der Einsatz als Waffe. Das Gas selbst verflüchtigt sich schnell, hinterlässt aber in Umwelt und auch Organen Spuren. "Wenn es Chlorgas war, dann findet man auch eine chemische Signatur", sagt Trapp.

Was werden die Experten zunächst tun?

Sie werden versuchen, so viele Proben wie möglich zu nehmen - von Boden, Wasser, Gebäuden. Dort kann eine hohe Konzentration von Chlor etwa auf Chlorgas deuten. Sie werden sicherlich Blut- und Gewebeproben von Opfern entnehmen. Bei Autopsien werden sie auch auf Organveränderungen achten, etwa in den Lungen, die auf bestimmte Kampfstoffe hinweisen. Schließlich haben die OPCW-Experten auch das Recht, Augenzeugen, medizinisches Personal und Opfer zu befragen. Hat jemand den Hubschrauber gesehen oder sogar gefilmt, der die Bombe abgeworfen haben soll? Was haben die Zeugen gerochen oder gehört?

Können Spuren auch beseitigt worden sein?

Das glaubt Trapp nicht. "Es ist nicht so einfach, Spuren zu beseitigen und Gebäude zu entgiften." Außerdem sind da auch noch die Zeugen und Ärzte, die den Ermittlern wertvolle Hinweise geben könnten.

Syriens Regierung und Russland erklärten, der Giftgaseinsatz und die Bilder von Opfern seien inszeniert worden. Ist das denkbar?

Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Die in sozialen Medien verbreiteten - sehr grausamen - Bilder wirkten echt. Wie etwa sollen Kleinkinder dazu gebracht werden, sich mit weißem Schaum in Mund oder Nase für gefälschte Aufnahmen wie tot hinzulegen? Das russische Staatsfernsehen verbreitete Fotos, die angeblich zeigen sollen, dass die Weißhelme schon an gefälschten Aufnahmen beteiligt gewesen waren. Tatsächlich stammten die Bilder aus dem Film "Revolution Man" - der von der staatlichen syrischen Filmorganisation produziert wurde.

Es wurde auch behauptet, die Aufnahmen der Opfer seien nicht in Duma entstanden. Bellingcat konnte aber durch Videos nachweisen, dass das gefilmte Gebäude mit den vielen Toten tatsächlich dort steht.

Die Syrien-Experten Kristin Helberg hält den Vorwurf der Inszenierung für "schändliche Propaganda" der syrischen Regierung und Russlands mit dem Ziel, "Zweifel zu säen, so dass möglichst viele verschiedene Versionen des Geschehens kursieren" und die Wahrheit am Ende nur noch als eine von mehreren möglichen Versionen erscheint.

Wer war für den vermuteten Giftgaseinsatz verantwortlich?

Nur eine unabhängige und umfassende Untersuchung vor Ort kann darauf eine gerichtsfeste Antwort geben. Die vorliegenden Informationen richten den Verdacht jedoch gegen die Armee. So warfen Helikopter der Luftwaffe bereits früher ähnliche gelbe Zylinder bei Angriffen mit Chlorgas ab, wie aus einem Bericht von Human Rights Watch hervorgeht.

Augenzeugen berichteten, sie hätten kurz vor dem Angriff am Abend zwei Hubschrauber über Duma gesehen. Auch oppositionelle Beobachter des syrischen Luftraums meldeten, eine halbe Stunde vor dem Angriff seien zwei Hubschrauber desselben Typs vom Regierungsmilitärflugplatz Al-Dumair Richtung Duma gestartet. Bellingcat kommt zu dem Schluss, dass höchstwahrscheinlich ein solcher Helikopter an Dumas Märtyrerplatz einen Zylinder mit Chlorgas abgeworfen hat.

Hat Syriens Regierung schon früher Giftgas eingesetzt?

Ja. Eine unabhängige Ermittlungskommission der Vereinten Nationen macht sie für mindestens 28 Angriffe mit Giftgas seit 2013 verantwortlich. Für weltweites Entsetzen sorgte der Einsatz von Sarin am 4. April 2017 in der Stadt Chan Scheichun, wo Dutzende starben. Ein gemeinsames Ermittlungsteam der UN und der OPCW gab dafür ebenfalls der syrischen Regierung die Schuld. Demnach warf deren Luftwaffe das Nervengas in Chan Scheichun ab. Vor Ort genommene Proben des Gases ergaben, dass es denselben chemischen Fingerabdruck wie Sarin aus Beständen der syrischen Armee hat.

Auch damals war die Behauptung zu hören, der Angriff sei inszeniert worden. Russland erklärte, ein Chemiewaffenlager der Opposition sei getroffen worden und Gas ausgeströmt. UN und OPCW fanden dafür bei ihrer gemeinsamen Untersuchung keinen Hinweis.

Warum sollte die Assad-Regierung Giftgas eingesetzt haben?

Assad-Anhänger argumentieren, die Regierung habe kein Motiv für einen Giftgaseinsatz in Duma, da die Rebellen dort zum Zeitpunkt des Angriffs schon verloren hätten. Gegner der Regierung halten dagegen, sie wolle mit Chemiewaffen möglichst viel Schrecken verbreiten und die Rebellen zur Aufgabe zwingen. Die letzten Rebellen im Duma stimmten erst am Tag nach dem vermutlichen Angriff ihrem Abzug zu.

Untersuchen die OPCW-Experten in Duma auch, wer verantwortlich war?

Die OPCW will als internationale Organisation nicht Partei ergreifen in dem Konflikt. Daher soll das Team nur feststellen, ob es überhaupt ein Angriff mit C-Waffen war und wenn ja, was für ein Stoff benutzt wurde. Aber die Untersuchungen könnten sehr wohl auch zum Täter führen. "Wenn sie etwa Reste einer Fassbombe finden, die nur von Hubschraubern abgeworfen werden konnte, dann weist das schon in eine bestimmte Richtung", sagt Trapp. Denn die syrische Armee verfügt über Hubschrauber. Theoretisch kommen aber auch die Rebellen als Täter in Frage. Bei großen Mengen von Chemikalien ist das unwahrscheinlich. Dazu bräuchte man Experten mit Erfahrung.

Wann ist mit Ergebnissen der OPCW-Untersuchung zu rechnen?

Zunächst ist unklar, wann die Untersuchungen überhaupt beginnen können. Die Experten würden nur geschickt, wenn aus Sicht der UN die Sicherheit gewährleistet sei und das OPCW-Team "ungehinderten Zugang" zum mutmaßlichen Angriffsort bekomme, sagte OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcü am Mittwoch in Den Haag, nachdem ein UN-Sicherheitsmitarbeiter am Vortag unter Beschuss gerieten.

Vor Ort braucht das Team dann sicher ein paar Tage, schätzt Trapp. Dann müssen sie die entnommenen und gesicherten Proben von Gewebe oder Umwelt in externen Labors untersuchen lassen. Zunächst werden diese im niederländischen OPCW-Labor in Portionen geteilt und dann an andere Labors geschickt, mit denen die Organisation eng kooperiert. Die Analysen können zwei Wochen dauern. Bis ein Endergebnis vorliegt, werden vermutlich drei bis vier Wochen vergehen.

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