Buchpräsentation in ehemaliger Synagoge Leben und Leiden der Niederzissener Juden

NIEDERZISSEN · Nicht irgendeiner Buchpräsentation wohnten gut 120 internationale Gäste in der ehemaligen Synagoge Niederzissens bei. Die Präsentation war für Nachfahren der Niederzissener Juden aus Israel, Mexiko, USA, Deutschland und Holland wie ein Familientreffen.

Die Vorstellung des Buches „Ein langer Weg“, in dem Brunhilde Stürmer und Brigitte Decker „Die Geschichte der jüdischen Familien der Synagogengemeinde Niederzissen im Brohltal“ beschreiben wurde zum vielstimmigen Appell gegen Rassismus und Gewalt sowie zum beglückenden Familientreffen für Nachfahren Niederzissener Juden aus Israel, Mexiko, den USA, Deutschland und Holland. „Das Buch schließt eine Lücke in der Erinnerungskultur Niederzissens“, betonte Richard Keuler, Vorsitzender des herausgebenden Kultur- und Heimatvereins (KHV) Niederzissen. Es wurde neben der deutschen Auflage in 300 Exemplaren auch in Englisch gedruckt.

Beiden Autorinnen sprach Norbert Wagner, Vorsitzender des Fördervereins Kulturgut ehemalige Synagoge, Dank aus für ihr „unbezahlbares Engagement“ sowie den Sponsoren für die Finanzhilfe. Brunhilde Stürmer habe soziale Beziehungen und die Erinnerung neu belebt. In Brigitte Decker habe sie die richtige Koautorin gefunden. Die Fülle der in fast 40 Jahren von Stürmer gesammelten Informationen „machte es notwendig, das Buch zu schreiben“, resümierte Fördervereins-Vizevorsitzender Reinhard Wolff.

Beitrag zur Erinnerung

Früher in der Familie Blankart lebend, kannte sie die Schmiede, zu der Verwandte die Synagoge umgebaut hatten. Brunhilde Stürmer forschte nach, wie jüdische Einwohner in Niederzissen lebten. Dazu ging sie die Kellereiakten der Territorialherren durch und knüpfte auch länderübergreifend Kontakte zu den Nachfahren der Niederzissener Juden. Brigitte Decker schrieb nicht nur Texte, sondern recherchierte in den zwei Jahren gemeinsamer Arbeit ebenfalls am Buch. Der Förderverein half bei den Kosten und der Vorstand des KHV bildete ein Projektteam, um die Autorinnen organisatorisch zu entlasten.

Der rheinland-pfälzische Kulturstaatssekretär Salvatore Barbaro nannte die Dokumentation einen bedeutsamen Beitrag der Erinnerung: „Gelungene Erinnerungsarbeit baut aufeinander auf.“ Denn dank des unermüdlichen Engagements Stürmers wurde die 1938 zerstörte und entweihte Synagoge von der Gemeinde Niederzissen 2009 gekauft und renoviert. Seit 2012 steht sie der Öffentlichkeit als zentrale Erinnerungsstätte zur Verfügung. „Ihr Buch, so Barbaro mit Nachdruck, „ist daher zugleich eine Mahnung, dass sich die schrecklichen Geschehnisse des Nationalsozialismus niemals wiederholen dürfen.“

Gleichermaßen rieten Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrates der Juden, Landrat Jürgen Pföhler sowie auch VG-Chef Johannes Bell eindringlich zu Wachsamkeit gegenüber schwindender Toleranz sowie extremen und ausgrenzenden Tendenzen auf. „Wir können nur bekämpfen, was wir erkennen“, betonte Lehrer angesichts des Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft. Daher warb er für Aufklärung und Gespräch mit jungen Menschen.

Aufarbeitung als Lebensaufgabe

„Absolut positiv“ nannte er den Ansatz des Buches, nicht das Schicksal einer Gruppe, sondern einzelner Menschen zu schildern. „Sie haben ihnen wieder einen Namen, eine Seele, eine Geschichte gegeben“, zollte ebenso Pföhler Anerkennung. Der Kreis sei sich seiner Verantwortung bewusst, habe das Bemühen um die Synagoge unterstützt und trete auf breiter Basis gegen Extremismus an.

Den Buchtitel „Ein langer Weg“ und das Titelbild mit der Kriegerwitwe Billa Berger-Bär, die ihre Kinder allein großzog und in der Emigration in England starb, erläuterte Brigitte Decker.

Es berührte, wie Brunhilde Stürmer Briefe von Richard Berger aus New York vorlas. Freundlich reagierte 1979 der Überlebende der Naziverfolgung, Sohn des letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde Niederzissen, auf ihre Fragen. Er müsse gespürt haben, dass sie von Herzen kamen. Nur so, sagte ein sichtlich bewegter Harvey Berger aus San Diego, USA, Sohn von Richard, könne er sich erklären, dass der Vater, der mit ihm nicht über die Vergangenheit sprach, antwortete. Verängstigt durch die Verfolgung hätten Vater und Mutter als Fremde unter Fremden nur mit Juden Kontakt gehabt.

Im Namen der mehr als 20 anwesenden Nachfahren aus verschiedenen Ländern hob Berger hervor: „Es gibt nur einen einzigen Grund, warum wir hier sind: Brunhilde Stürmer hat ihr Leben dieser Aufgabe der Aufarbeitung gewidmet.“

Berger glaubte, nur noch zwei Angehörige, den Vater und dessen Schwester Caroline, zu haben. Durch Stürmers Kontakte stellte sich heraus: Die Familie ist viel größer. Zu der Frau, die von einigen für ihr Engagement belächelt wurde, aber unbeirrt blieb, hatte Harvey Berger schon anlässlich der Eröffnung der sanierten Synagogen-Begegnungsstätte gesagt, dank ihr habe „die Familie, die von der Welt gewischt war, eine Heimat in Niederzissen gefunden“.

Das Buch „Ein langer Weg“ wird auch in der ehemaligen Synagoge in Ahrweiler vorgestellt. Vorzumerken ist der Termin in der Altenbaustraße 12 a am Freitag, 24. November, 20 Uhr.

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