Planlos nach Brüssel May hofft auf Einlenken der EU im Brexit-Streit

London · Zwei Wochen nach der krachenden Niederlage ihres Brexit-Deals holt sich die britische Premierministerin Theresa May Rückendeckung für heikle Nachverhandlungen mit Brüssel. Die EU blockt ab.

 Theresa May, Premierministerin von Großbritannien, verlässt die Downing Street 10.

Theresa May, Premierministerin von Großbritannien, verlässt die Downing Street 10.

Foto: Stefan Rousseau/PA Wire

Endlich wieder ein Erfolg. Schon lange wirkte die britische Premierministerin Theresa May nicht mehr so selbstbewusst wie am Tag nach der Abstimmung über den Brexit-Kurs.

Zwei Wochen, nachdem das Parlament ihr Brexit-Abkommen mit der EU mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hatte, war sie wieder zurück. "Theresa Mays Brexit-Deal ist von den Toten auferstanden", schrieb das Magazin "The Spectator".

May hatte am Dienstag um ein Mandat gebeten, den Deal zu verändern, den sie kurz zuvor noch als das Bestmögliche verteidigt hatte. Dieses Mandat bekam sie. Die Abgeordneten gaben ihr mit einer Mehrheit von 317 zu 301 Stimmen den Auftrag, die schwierige Irland-Frage noch einmal neu zu verhandeln. Der Backstop, die Garantie für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland soll durch "alternative Regelungen" ersetzt werden, entschieden sie.

May strahlte. Doch schon am Mittwoch geriet sie ins Straucheln, als sie bei der wöchentlichen Fragestunde im Parlament erklären sollte, was mit "alternativen Regelungen" gemeint ist. May wand sich. Ein einseitiges Kündigungsrecht für Großbritannien sei vorstellbar, Regelungen auf Vertrauensbasis mit etablierten Händlern, sagte May und verwies auf technologische Lösungen, die aber erst noch erfunden werden müssen.

All das ist längst bei den Brexit-Verhandlungen in den vergangenen anderthalb Jahren durchgekaut und verworfen worden. Aus Brüssel und Dublin kam umgehend die Ansage, dass es keine Veränderungen am Austrittsabkommen geben wird.

Beobachter sehen den Vorstoß Mays daher eher als Versuch, ihre zerstrittene Konservative Partei zusammenzuhalten - und an der Macht zu bleiben. Acht Wochen vor dem EU-Austritt des Landes verhandeln die Briten noch immer ausschließlich mit sich selbst, so scheint es.

Der Backstop soll den brüchigen Frieden in Nordirland schützen. Dort leben Katholiken und Protestanten 20 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs noch immer weitgehend in Parallelgesellschaften. Wohnbezirke sind mit meterhohen Mauern von der jeweils anderen Gruppe abgeschirmt. Nur wenige Kinder gehen in gemischt konfessionelle Schulen.

Die Katholiken fühlen sich überwiegend als Iren. Viele von ihnen befürworten eine Vereinigung mit der Republik Irland im Süden. Die Protestanten fühlen sich als Briten, sie wollen, dass ihre Heimat ein Teil Großbritanniens bleibt. Rund 30 Jahre lang wurde dieser Konflikt mit Gewalt ausgetragen.

Der Brexit könnte die Provinz nun wieder aus dem Gleichgewicht bringen, so die Befürchtung. Die gemeinsame Mitgliedschaft in der EU machte Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland überflüssig. Doch die müssten nach dem EU-Austritt der Briten wieder eingeführt werden.

Die Backstop-Regelung sieht vor, dass Großbritannien solange als Ganzes Teil der Europäischen Zollunion bleiben soll, bis das Problem anderweitig gelöst ist. Zudem muss sich Nordirland weiter an Regeln des Binnenmarkts halten. Doch das ist im britischen Parlament heftig umstritten. Kritiker fürchten, dass das Land dauerhaft eng an die EU gebunden bleiben könnte. Die nordirisch-protestantische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängt, lehnt jeglichen Sonderstatus für Nordirland ab.

Gewonnen hat May also vor allem im Spiel um die knappe Zeit. Nur zwei Monate vor dem Brexit-Datum am 29. März wollten ihr viele Abgeordnete bereits das Heft aus der Hand nehmen. Doch sie konnte sich noch einmal weiterhangeln. Eine Rebellion aus den eigenen Reihen konnte sie mit dem Versprechen unterdrücken, dass in zwei Wochen wieder über Alternativen abgestimmt werden soll, wenn sie bis dahin dem Haus keinen geänderten Deal vorlegen kann.

Doch dann werden es nur noch sechs Wochen bis zum Brexit-Tag sein. Mit jedem Tag rückt das Land ein Stückchen näher an den Abgrund. Da hilft es auch nichts, dass sich die Abgeordneten am Dienstagabend gegen einen No-Deal-Brexit ausgesprochen haben. Verhindern kann das den ungeordneten EU-Austritt nicht. May beteuerte zwar, sie wolle ebenfalls keinen ungeordneten Brexit. Doch für sie ist das Schreckensszenario des Austritts ohne Vertrag das beste Druckmittel, um ihren Deal und damit auch ihre politische Zukunft zu retten.

Von einem Gespräch mit Labour-Chef Jeremy Corbyn, das am Mittwochnachmittag stattfinden sollte, macht sich daher auch kaum jemand Hoffnungen auf einen Durchbruch. May wird nicht von ihrer harten Brexit-Linie abrücken, weil sie sonst die Hardliner in ihrer Partei vergrätzen würde. Sie hofft darauf, dass die anderen nachgeben werden, entweder Brüssel oder ihre Gegner im Parlament.

Doch das ist eine gefährliche Strategie. Sabine Weyand, die Stellvertreterin von EU-Chefunterhändler Michel Barnier, warnte Anfang der Woche bereits vor einem "sehr hohen Risiko", dass Großbritannien unabsichtlich ohne Vertrag aus der EU ausscheidet.

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