Kommentar 25 Jahre nach Tiananmen - Der Unmut wächst

Sie haben studiert, nicht wenige besitzen ein eigenes Auto, für viele von ihnen ist einmal im Jahr auch eine Auslandsreise drin, ein Ipad ist Alltagsgegenstand. Die meisten jungen Pekinger, die im Jahr der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung geboren sind, können sich heute einen Lebensstil leisten, von denen die Studenten, die damals auf dem Tiananmen-Platz demonstrierten, nur träumen konnten.

Das ist der Erfolg der kommunistischen Führung, der es in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten gelungen ist, einem Viertel der gesamten chinesischen Bevölkerung zu bescheidenem Wohlstand zu verhelfen. Vor allem die jungen Menschen dieser chinesischen Mittelschicht müssten sich doch also zufrieden zeigen.

Trotzdem ist der Unmut gerade bei ihnen groß. Sie beklagen sich über die schlechte Luft, nach einer Reihe von Skandalen trauen sie den heimischen Lebensmitteln nicht mehr, ja nicht einmal dem Pekinger Leitungswasser. Sie halten die Behörden und die gesamte Führung für korrupt. Hoffnungen setzen die meisten von ihnen in dieses System nicht mehr.

Luxusprobleme einer verwöhnten Generation, deren Eltern und Großeltern nicht einmal ausreichend Essen auf dem Tisch hatten? Für die 1989 bei einem Besuch bei Kentucky Fried Chicken noch ein ganzer Wochenlohn draufging? Nein. Denn wie einst im Westen steigen mit zunehmendem Wohlstand und höherem Bildungsniveau auch in China die immateriellen Ansprüche.

Wer nicht von morgens bis abends auf den Feldern ackern oder täglich 14 Stunden in Textilfabriken und Bergwerken schuften muss, der kann sich auch Gedanken machen über Dinge, die über die tägliche Reisschale hinausgehen. Diese jungen Menschen wollen nicht mehr nur als Arbeitskräfte und Konsumenten wahrgenommen werden, sondern mitbestimmen und mitgestalten.

Davon ist China aber auch 25 Jahre nach dem Tiananmen-Massacker weit entfernt. So viel sich ökonomisch in der Volksrepublik seitdem getan hat - politisch herrschte in all den Jahren absoluter Stillstand. Dabei hat die Ungerechtigkeit seitdem erheblich zugenommen: Sozial Schwächere sind den Reichen ausgeliefert, Beamte bestechlich, auf das Rechtssystem ist kein Verlass, es grassiert die Korruption. Dennoch verteidigt auch Chinas derzeitige Führung das System mit eiserner Faust, sperrt Kritiker gnadenlos weg und verweigert sich jeglichen politischen Reformen.

Schon jetzt hat eine Abstimmung mit den Füßen eingesetzt. Repräsentative Erhebungen gibt es zwar keine. Doch zumindest eine Zahl sollte auch die chinesische Führung bedenklich stimmen: 18.000 Funktionäre sollen sich staatlichen Medien zufolge in den vergangenen Jahren ins Ausland abgesetzt haben. Und sie dürften über den Zustand des Landes am besten Bescheid wissen.

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