Kommentar Ägypten und die Türkei - Wo Erdogan Recht hat

Die Vereinigten Staaten vermeiden es, von einem Staatsstreich in Ägypten zu sprechen. Die Europäische Union mahnt und warnt, tut sonst aber nichts. So mancher arabischer Staat ist hoch erfreut und schickt Milliardensummen an das neue Regime.

Nach der Entmachtung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi gibt es nur eine wichtige Regionalmacht, die schon vor dem vergangenen blutigen Wochenende laut und deutlich von einem Putsch der ägyptischen Generäle gesprochen hat und die Militärs am Nil scharf kritisierte. Dieses Land ist die Türkei.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte sich zuletzt durch seinen Umgang mit der Protestbewegung im eigenen Land selbst als autoritärer Politiker gezeigt, der keine Kritik vertragen kann. Wenn Erdogans Regierung jetzt fordert, in Ägypten müssten friedliche Demonstrationen von den Behörden toleriert werden, dann bleibt ein schlechter Nachgeschmack.

Auch stehen hinter Erdogans Forderungen an die neuen Herrscher in Kairo eher die regionalpolitischen Interessen der Türkei als ein selbstloses Engagement für die Demokratie.

Mursis Wahl war in Ankara auch als Erfolg des "türkischen Modells" verstanden worden: als Beweis dafür, dass islamisch-konservative Bewegungen durchaus Demokratie-kompatibel sein können. Mursis Sturz hat dem "türkischen Modell" als Vorbild für die Staaten des Arabischen Frühlings deshalb Schaden zugefügt.

Nicht zuletzt handelt Erdogan auch als Politiker, der sich selbst noch vor wenigen Jahren gegen Putschdrohungen der Militärs wehren musste. Seit 1960 hat die türkische Armee vier gewählte Regierungen von der Macht verdrängt.

Doch Erdogans Eigeninteressen bedeuten nicht, dass seine Kritik am Umgang der internationalen Gemeinschaft mit den Ereignissen in Ägypten völlig falsch wäre. Er hat den Eindruck, dass der Westen und die reichen Monarchien am Golf immer dann die Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaat ignorieren, wenn es um Leute wie Mursi oder ihn selbst geht: islamisch-konservative Politiker, die automatisch unter dem Verdacht des Fundamentalismus stehen. Man stelle sich die internationalen Reaktionen vor, wenn die Armee in Ägypten einen Präsidenten wie den pro-westlichen Politiker Mohammed ElBaradei gestürzt hätte.

Wo bitte seien denn plötzlich all die aufrechten Unterstützer der Demokratie geblieben, die während der türkischen Proteste im Juni gegen seine Regierung auf die Barrikaden gegangen seien, fragte Erdogan mit Blick auf das vergangene Wochenende, des blutigsten seit dem Sturz Mursis. Schon jetzt ist absehbar, dass sich viele Türken in ihrer Haltung bestärkt sehen werden, wonach die Haltung des Westen zur islamischen Welt vor allem von Scheinheiligkeit geprägt wird.

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