Kommentar zur Flüchtlingspolitik der Koalition An der Kante

Es ist nicht weit her mit der Solidarität in Europa. Die Slowakei beispielsweise hat ein sehr spezielles Verständnis von Zusammenhalt in der Flüchtlingskrise. 154 Asylanträge musste das Land in diesem Jahr bisher verkraften.

802 Asylbewerber müsste der noch junge EU-Staat aufnehmen, würden die verbindlich verabredeten Flüchtlingskontingente umgesetzt. Doch die Regierung in Pressburg/Bratislava, man glaubt es kaum, klagt gegen diese angebliche Zumutung vor dem Europäischen Gerichtshof.

Und die Koalition in Berlin? Union und SPD sind sich uneinig darüber, ob und wie man Staaten wie der Slowakei beibringen soll, wie das Wort Solidarität überhaupt buchstabiert wird. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) plädiert ganz undiplomatisch dafür, dass dann eben Gerichte entscheiden müssten. Eigentlich kein schöner Beleg für echten Zusammenhalt im Club der 28 EU-Partner. Doch natürlich hat er recht: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) wiederum setzt auf Freiwilligkeit und auf jene Einsicht, mit der die Slowakei oder Ungarn bald erkennen würden, dass moderne Staaten unter den Bedingungen der Globalisierung ohne Migration nicht auskommen werden. Aber bitte, ohne die verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen kann die EU in dieser Krise nicht funktionieren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mehrfach feststellen müssen, dass das Dublin-Verfahren, nach dem Asylbewerber in jenes EU-Land zurückgeschickt werden müssen, in dem sie zuerst EU-Boden betreten haben, nur rudimentär eingehalten wird. Auch dies ein Grund, warum in Europa Hotspots, also Erstaufnahmeeinrichtungen geschaffen werden, und warum in der Koalition über Kontingente oder Obergrenzen nachgedacht wird. CSU-Chef Horst Seehofer wäre nicht der ewige Tausendsassa, hätte er nicht schon wieder eine neue Idee zur Bewältigung der Flüchtlingskrise: Der einst wegen der immensen Kosten der deutschen Einheit erhobene Solidaritätszuschlag sollte wegen des Flüchtlingszuzugs nun doch nicht schrittweise abgeschafft werden. Ein echter Seehofer, der alles tut, damit die Koalition nicht zur Ruhe kommt. Es ist hart an der Kante. Der SPD kann das Sperrfeuer aus München auch nur bedingt recht sein, weil am Ende eine Lösung, also eine bessere Verteilung der Flüchtlinge, stehen muss. Und wenn es nach einem Gerichtsentscheid ist.

Gleich zu Beginn des neuen Jahres, wenn Merkel die CSU-Landesgruppe zur 40. Jubiläumsklausur in Wildbad Kreuth besucht, werden die Unionsparteien ihre doch beachtliche Kluft in der Flüchtlingspolitik wieder notdürftig zudecken. Es hilft nur nichts: Die Flüchtlingskrise hat die Koordinaten innerhalb der Koalition verschoben. Stabiles Regieren war nie einfach. Aber jetzt müssen sich die Regierungsparteien erst einmal wiederfinden. Denn 2016 wird nicht weniger hart.

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