Kommentar Ansehen des Bundestags - Gewichtsverlust

Um die Demokratie in Deutschland muss einem nicht bange sein - um das Parlament dagegen schon. Denn das "Hohe Haus" ist nicht nur immer häufiger ein leeres Haus, es ist viel zu oft auch ein Ort hohler Phrasen, entleerter Debatten.

Das hat nicht nur - aber auch - mit der Qualität des politischen Personals zu tun. Und dies trifft weiß Gott nicht nur für den Bundestag, sondern auch für die Landtage und erst recht für die Kommunalparlamente zu. Die Zeiten, in denen Parlamente mit einer größeren Zahl herausragender Persönlichkeiten aufwarten konnten, sind vorbei, erst recht, wenn man noch ihre rhetorische Kompetenz hinzunimmt. Kein Brandt, kein Wehner, kein Strauß, kein Schmidt, kein Lambsdorff, kein Merz. Das ist nicht nur ein verklärtes wehmütiges Zurückschauen, das ist ein eindeutiges Faktum: Die großen Allrounder der Politik, die großen Polemiker und Meister der freien Rede gehören der Vergangenheit an.

Das hat zum einen mit der Attraktivität von Politik überhaupt zu tun (was auch die Nachwuchsprobleme gerade in den Kommunen erklärt) und das hat zum anderen mit der Spezialisierung von Politik zu tun. Der paradoxe Befund lautet: Je globaler die Entwicklungen, desto spezialisierter die Politiker. Fachmann A streitet mit Fachmann B im Plenum, tauscht zum x-ten Male die bekannten Argumente aus - und kaum jemand hört zu, im Parlament nicht und draußen schon gar nicht. Nur noch jeder vierte Bundesbürger hat in den vergangenen Wochen eine Bundestagsdebatte verfolgt. Ein alarmierendes Zeugnis des Desinteresses an der angeblich doch zentralen Institution dieser Demokratie, der parlamentarischen Demokratie.

Auch das ist ein Teufelskreis. Weil es kaum noch jemanden interessiert, wird weniger übertragen, mit dem Effekt, dass es letztlich noch weniger interessiert, was da im "Hohen Haus" debattiert wird.Doch der Kern ist ein andrer: Die Demokratietheorie stimmt nicht mehr mit der Demokratiepraxis überein - und darauf wiederum reagiert der lesende/hörende/sehende Bürger rational: Was soll er Bundestagsdebatten verfolgen, deren Ergebnis von vornherein feststeht? Weil das so ist, sind übrigens die interessantesten Debatten jene, bei denen das nicht so ist. Die fraktionsübergreifende, von Fraktionszwängen freie Sterbehilfedebatte vor ein paar Wochen war so eine Sternstunde.

Immer mehr wird in Brüssel entschieden, nicht im Bundestag. Immer öfter lebt die Exekutive deshalb von einer pauschalen Billigung des Parlaments, immer stärker ist die deutsche Demokratie deshalb eine Kanzlerdemokratie. Was ja so weit geht, dass es im Wahlkampf nur noch heißt: Merkel wählen. Inhalte egal. Und weil das alles so ist, sind auch alle Belebungsversuche des Parlamentsalltags nicht mehr als hilflose Versuche, am Symptom zu kurieren. Das "Hohe Haus" ist nicht mehr.

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