Kommentar Atommüll - Gezänk statt Konsens

Objektiv, nur wissenschaftlichen Fakten verpflichtet, zudem ohne jede Parteibrille: So soll eine Kommission bis 2015 den besten Standort für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle einkreisen.

Im Jahr 2031 könnte es dann fertig sein. Und der Salzstock Gorleben bleibt im Topf der Möglichkeiten. Kaum aber hatten Bund und Länder ihre "historische Einigung" verkündet, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Politiker erklärt, wie er im Allgemeinen die Angelegenheit aus der Perspektive seines Bundeslandes oder im Besonderen die Rolle Gorlebens betrachtet.

Das verrät wenig Gutes und viel Politik, die gerade draußen bleiben sollte. Zumindest vorerst. Denn egal, was die Kommission eines Tages vorschlägt: Bundestag und Bundesrat haben ohnehin das letzte Wort. Bis dahin, so der Plan, gilt das Prinzip der "weißen Landkarte", die eine ergebnisoffene Suche signalisiert. Soll heißen: Die geologischen Schichten Deutschlands werden fernab von jeweiligen Mehrheiten, Ländergrenzen und Bürgerinitiativen auf Endlagertauglichkeit geprüft.

Dabei wird stets von einer nationalen Aufgabe gesprochen. Der stehen 16 Ministerpräsidenten gegenüber, von denen keiner den Müll aus der atomaren Stromproduktion - und vor allem: nicht den des Nachbarn - bei sich verbuddelt sehen möchte. Zurzeit praktizieren viele die Vornewegverteidigung und erklären, warum ihr Bundesland aus der Suche ausscheide. Und das, bevor die Kommission überhaupt ihre Findungstätigkeit aufgenommen hat.

Manche Kritiker sprechen bereits von einer Scheineinigung, die einmal nur Zeitgewinne verschaffe, um nicht entscheiden zu müssen, und zum anderen nur eine Frist einhalte: die zur Umsetzung einer EU-Richtlinie bis August 2013. Andere glauben, dass Deutschland seinen Problemmüll letztlich exportieren werde - etwa nach Russland.

Der Strom ist verbraucht, der Abfall bleibt: Bald werden 26 Castorbehälter aus britischen und französischen Wiederaufarbeitungsanlagen auf Deutschland zurollen. Welches der 15 Zwischenlager für Hochradioaktives wird sie aufnehmen? Wo ist überhaupt noch Platz? Auch dazu gibt es mehr Gezänk als Konsens.

Wozu endloser Endlagerstreit führt, spiegeln jüngste Entdeckungen im Ärmelkanal: Mehr als 200.000 sorglos versenkte Atommüll-Fässer "lagern" auf dem Grund der Nordsee. Es nagt der Zahn der Zeit. Solcherlei Rostfraß ist aber kein Restrisiko, sondern wurzelt in bewusster Fahrlässigkeit.

So erstaunt in diesen Tagen, wie rasch die reklamierte "weiße Landkarte" Deutschlands schrumpft, indem Landespolitiker ihr Hoheitsgebiet schon mal schwarz einzufärben versuchen: Unsere Erdkruste ist nicht geeignet. Diese gelebten Sankt-Florians-Reflexe sind es, mit denen Politiker gerade ihre Glaubwürdigkeit - weiter - verspielen.

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