Kommentar Beinahe-Katastrophe bei Germanwings - Fahrlässig

Wenn eine Sache um Haaresbreite schief gelaufen wäre, gibt es zwei Möglichkeiten zu reagieren: Den Vorfall vergessen nach dem Motto "Schwamm drüber und nach vorne blicken". Oder nach den Ursachen forschen, damit es nicht wieder passiert.

Die Beinahe-Katastrophe, in die vor knapp zwei Jahren eine Germanwings-Maschine beim Landeanflug auf Köln/Bonn verwickelt war, gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Nur mit viel Glück und dank der verbliebenen Geistesgegenwart der Piloten schrammte der Airbus an dem schlimmsten Unfall der deutschen Luftfahrt vorbei.

Verunreinigte Luft im Cockpit wird dafür verantwortlich gemacht, dass Kapitän und Co-Pilot fast das Bewusstsein verloren hätten. Das Phänomen kommt selten vor, hat nicht immer die dramatischen Auswirkungen, und ist vor allem eins: ziemlich unerforscht. Daraus den Schluss zu ziehen, man müsse es nicht näher untersuchen, wäre fahrlässig. Genau diese Entscheidung hat aber nun der Bundestag getroffen.

Tatsache ist, dass die zuständige Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) dem Zwischenfall zunächst keine besondere Aufmerksamkeit schenkte, obwohl, das ist richtig, Germanwings den Vorfall gemeldet hatte. Erst als im September 2011 der Tourismusausschuss des Bundestags sich dem Thema kontaminierte Kabinenluft widmete, erhielten die Vertreter der BFU den Anstoß, der zum jetzt veröffentlichten Untersuchungsbericht führte.

Denn vor den Ausschussmitgliedern schilderten die Vertreter der Pilotenvereinigung Cockpit, was Kabinenpersonal schon seit vielen Jahren beschäftigt: den Verdacht, dass die Luft in der Flugzeugkabine möglicherweise häufiger als gedacht mit Stoffen belastet ist, die mindestens gesundheitsschädlich sind und im äußerten Fall sogar die Flugsicherheit insgesamt gefährden.

Wer den im Internet veröffentlichten BFU-Bericht über den Vorfall in Köln/Bonn liest, weiß, dass hier nichts verharmlost werden darf. Gewiss sind die Sicherheitsstandards der europäischen Luftfahrt höher als in anderen Teilen der Welt. Gewiss sterben mehr Menschen auf deutschen Straßen als bei einem Flugzeugunglück. Und doch ist nicht zu verkennen, dass der Wettbewerb im Luftverkehr immer härter wird. Mit Slogans wie "Billiger als Taxifahren" werben Airlines für Tickets zu Schnäppchenpreisen.

Für die Verunreinigungen der Kabinenluft, die außen an den Triebwerken abgezapft wird, kann es mehrere Ursachen geben. Letztlich sind technische Lösungen zu entwickeln, bis hin zur Entwicklung eines neuen Ansaugsystems. Die Fluglinien müssten ihre Flotten damit ausrüsten, wobei die Umstellung Jahrzehnte dauern würde. Bis dahin müssen Messgeräte und Filteranlagen in die Kabinen eingebaut werden, um Kontaminationen zu verhindern oder wenigstens rechtzeitig zu melden.

Die Grünen hatten all diese Punkte als Forderungen in den Bundestag eingebracht, der am Freitag darüber debattierte. Politiker von Union und FDP haben die Antragsteller als Panikmacher verunglimpft. Man kann nur hoffen, dass die öffentliche Debatte nicht nur bei der Koalition ein Umdenken herbeiführt, sondern auch die Fluglinien wachrüttelt.

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