Kommentar Berlin, Europa und Robert Schuman - Sowohl als auch

Man kann Kompromisse als fehlenden Mut zur klaren Linie diffamieren, oder man sieht in Kompromissen den Kern eines demokratischen Prozesses, der die Sache voranbringt. So sollte es sein, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.

Das heißt: Regierungen, die sich zu sehr auf eine Seite schlagen, werden dafür entweder bei der erstbesten Gelegenheit bestraft, oder die nächste Regierung wird eine Totalrevision dieses Kurses betreiben. Der Volksmund nennt so etwas Zick-Zack-Kurs.

Ein solcher Zick-Zack-Kurs kann in niemandes Interesse liegen. Auch nicht jetzt, wo SPD und Union sich auf eine große Koalition zubewegen. Für zwei zentrale Themen künftiger Regierungspolitik ist das von entscheidender Bedeutung. Für die Energiewende und für die Europapolitik.

Bei der Energiewende ist Deutschland in einer emotionalen Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima übers Ziel hinausgeschossen. Das hat sich gerächt. Jetzt muss die Wende in mühevoller Kleinarbeit mit marktwirtschaftlichen Mitteln zuwege gebracht werden.

So falsch es war, die regenerativen Energien in einem Übermaß zu fördern, so falsch wäre es jetzt, veraltete Technologien, unmoderne Kohlekraftwerke mit hohen Subventionen am Leben zu erhalten. Wer Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, so verstünde, der verstünde sie falsch.

Kraft will erklärtermaßen die Energiewende, aber sie will sie zu bezahlbaren Preisen und mit garantierter Versorgungssicherheit. Das zu erreichen, ist aller Mühen der Unterhändler wert. Gelänge es, dann wäre es ein Musterbeispiel für den Wert des Sowohl-als-auch.

Wie auch in Europa: Angela Merkel hat in der Eurokrise überzogen. Das muss sie jetzt korrigieren, und die SPD wird sie dazu zwingen. Die deutsche Bundeskanzlerin hat zu einseitig die Schuldensünder unter den Euro-Staaten, allen voran Griechenland, aber auch Spanien oder Portugal, unter einen Sparzwang gesetzt, den sie selbst in Deutschland niemals akzeptiert hätte.

Sie hat damit die Krise in diesen Staaten verschärft. Arbeitslosenraten von mehr als 50 Prozent, etwa bei Jugendlichen, kann keine Regierung tolerieren.

Deshalb ist Kaputtsparen das falsche Rezept, ganz abgesehen davon, dass es keine Gesellschaft aushält. Man muss sich nur vor Augen halten, was in Deutschland los wäre, wenn es derartige Verwerfungen gäbe.

Also muss sich nicht nur die große Koalition in Berlin zusammenfinden, auch EU-Europa braucht sie: eine Koalition der Ausgaben-Disziplin und gleichzeitig der wirtschaftlichen Impulse.

"Sowohl als auch" gewissermaßen. Robert Schuman, der große Europäer, dem die Konrad-Adenauer-Stiftung kürzlich eine große Veranstaltung im Haus der Geschichte widmete, würde Beifall klatschen.

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