Kommentar Betreuungsgeld - Das Wohl des Kindes

Das hatte noch gefehlt: Nach erzwungenermaßen verschobener Befassung im Bundestag gerät das Betreuungsgeld immer tiefer in schweres Fahrwasser. Nun brechen auch renommierte Bildungsforscher den Stab über das schwarz-gelbe Projekt, das wie kein anderes Vorhaben die Gemüter erhitzt. Es ist ein Blitzableiterthema, an dem jeder abladen kann, was ihm an der Koalition nicht passt.

Die Opposition kann am Beispiel des Betreuungsgeldes genussvoll die Regierung vorführen, was ihr beim Thema Euro-Schuldenkrise nicht wirklich gelingen kann, zu existenziell bedrohlich ist hier die Gemengelage. Die CSU kann sich als Retter konservativer Werte aufspielen, indem sie für das Betreuungsgeld als Anerkennung des traditionellen Familienmodells kämpft. Aus dem gegenteiligen Grund lehnen die Liberalen es ab. Und die CDU-Mitglieder verteilen sich irgendwo zwischen den Positionen der beiden anderen Koalitionspartner.

Schon längst geht es bei dem Streit nicht mehr um das Wohl von Kindern oder von Familien. Es geht nicht einmal um Ideologie, sondern um einen Schaukampf, der um Macht, Einfluss und Wählerstimmen betrieben wird. Da lässt CSU-Chef Horst Seehofer die Muskeln spielen, doch der Zuschauer merkt allzu bald, dass er sich nur mit heißer Luft aufgepumpt hat.

Der glücklose FDP-Vorsitzende Philipp Rösler sieht ebenfalls eine Chance, sich zu profilieren. Nur Kanzlerin Angela Merkel schafft es hin und wieder, die Wogen zu glätten, weil sie unbeirrt an dem Betreuungsgeld festhält, koste es, was es wolle.

Es ist wirklich verzwickt: Man kann das Betreuungsgeld ablehnen und trotzdem seine Zweifel haben, ob die ganztägige Betreuung von Einjährigen in einer größeren Kindergruppe durch professionelle Erzieher in jedem Fall dem Wohle des Kindes dient. Allerdings ist die Frage berechtigt, ob sich der Staat nicht übernimmt, wenn er alles für alle regeln will - den Ausbau der Kita-Plätze, die Unterstützung von Tagesmüttern und die Bezuschussung von Eltern, die die öffentlich geförderten Betreuungsplätze nicht in Anspruch nehmen.

Niemand spricht zudem von der Bürokratie, die aufgebaut werden muss, um zu entscheiden, welcher Familie das Betreuungsgeld zukommt und welcher nicht. Denn das ist, was Seehofer und Co. gern verschweigen: Nicht nur die Eltern, die mit dem Kind zu Hause bleiben, sollen das Betreuungsgeld kriegen, sondern auch die, die zwar berufstätig sind, aber eine private Betreuung für das Kind organisieren.

Dabei sind der CSU nicht einmal alle Kinder gleich viel wert. Wer als Hartz-IV-Empfänger Betreuungsgeld bekommt, hat nichts davon, weil der Staat die anderen Leistungen entsprechend kürzt. Wahlfreiheit, wie Seehofer sie postuliert, haben also nur ganz bestimmte Eltern.

Erschreckend ist, dass Bund und Länder die Hilferufe der Kommunen geflissentlich überhören. Dabei wissen diese nicht, wie sie ab nächstem Jahr den Rechtsanspruch der Ein- und Zweijährigen auf einen Betreuungsplatz gewährleisten sollen. Die Kosten für den Ausbau steigen, weil der Bedarf höher ist als anfangs angenommen. Es fehlt an Personal, und auch die Qualität vieler Plätze lässt zu wünschen übrig. Wer an das Wohl der Kinder denkt, stellt zuerst diese Mängel ab. Dann klappt's auch mit den Wählerstimmen.

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