Kommentar Bundesparteitag der Grünen - Wolfsgeheul

In Hannover haben sich die Grünen drei Tage lang gefeiert - selbstbewusst, geschlossen, einig im Stolz auf die erfolgreiche Urwahl, die ihnen zwei Spitzenkandidaten beschert hat, mit denen sie sich im Bundestagswahlkampf sehen lassen können. Es schwang in allen Äußerungen auch Erleichterung darüber mit, wie gut sie die Krise um ihre Vorsitzende Claudia Roth gemeistert haben. Die Scharte ist ausgewetzt. Das kann die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten noch nicht sagen.

Geschlossenheit haben sie auf dem Bundesparteitag auch inhaltlich vermittelt. Ein Kuckucksei hat ihnen der linke Flügel dieses Mal nicht ins Nest gelegt. Eine Rückkehr zur Rente mit 65 oder einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent soll es mit den Grünen nicht geben, solche Anträge hat die Delegiertenmehrheit abgelehnt. Aber es gab eine erbitterte Debatte zur Frage, ob das Jobcenter das Arbeitslosengeld II bei Versäumnissen seitens der Hartz-IV-Bezieher komplett streichen darf. Am Ende verabschiedete der Parteitag ein Sanktionsmoratorium, was kaum besser ist. Das Prinzip, Arbeitslose zu fördern und zu fordern, würde damit unterlaufen.

Unter dem Strich hat sich der Parteitag eindeutig links positioniert, davon zeugt der umfangreiche Beschluss zur Sozialpolitik. Das soziale Netz soll auf allen Ebenen gestärkt werden, für die Jungen, die ganz Jungen, die Alten, die Arbeitslosen und die Pflegebedürftigen. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen fand zwar keinen Eingang in den Beschluss, aber immerhin soll eine Enquetekommission die Idee prüfen. Einkommen ohne Eigenleistung geißeln die Grünen immer dann, wenn es um Kapitaleinkünfte oder Erbschaften geht. Da soll das Finanzamt viel stärker zugreifen. Aber das Grundeinkommen, das auch andere erwirtschaften würden, soll ohne Gegenleistung auskommen?

[kein Linktext vorhanden]Der moralische Zeigefinger, den die Grünen immer wieder erheben, nervt. Ihr Anspruch, die sozialen Versprechen seien alle finanziert, hält einer näheren Prüfung nicht stand. Nicht durchgerechnet ist etwa die Garantierente von 850 Euro, für die Beitragszahler nur wenige Hürden überwinden müssen. Der Realo-Flügel weiß genau, dass in der Bevölkerung durchaus die Bereitschaft verbreitet ist, Steuererhöhungen mitzumachen, wenn die Mehreinnahmen gezielt in Bildung und Kita-Plätze investiert würden. Aber auf breiter Front die Steuern zu erhöhen, würde viele Wähler abschrecken.

Oft überzogen wirkten die Angriffe der Parteitagsredner auf die Kanzlerin. Wenn es das Ausufern von Niedriglöhnen, die Zunahme von Leiharbeit und eine sich weitende Arm-Reich-Schere zu beklagen gibt, sind das vor allem Folgen der rot-grünen Agenda 2010. Sozialpolitik macht selten Tabula rasa, sondern muss immer wieder gegensteuern. Nicht umsonst findet der gesetzliche Mindestlohn auch bei Unionspolitikern immer mehr Anhänger.

So war das Wolfsgeheul gegen die Merkel-CDU eher ein Gesang für die eigenen Leute. Ein Jürgen Trittin wird, wenn es 2013 nicht für Rot-Grün reicht, der Union nicht das Gespräch verweigern. Glücklicherweise entscheiden aber erst einmal die Wähler, wem sie ihr Vertrauen schenken.

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