Kommentar Camerons Europapolitik - Goodbye?!

LONDON · Auch einen Tag nach der Cameron-Rede möchte man den Briten am liebsten ein schnoddriges "Reisende sollte man nicht aufhalten!" zurufen. Tatsächlich ist der kontinentale Ärger über die Re-Thatcherisierung der britischen Europapolitik ja auch berechtigt.

Während vor allem Berlin und Paris bemüht sind, den Laden in der Krise zusammenzuhalten, verstärkt der britische Premierminister die Fliehkräfte zusätzlich, nicht nur auf seiner Insel. Dabei profitiert er noch heute von dem sogenannten Britenrabatt, den seine berühmt-berüchtigte Vorgängerin Margaret Thatcher 1984 unter dem Motto "I want my money back" durchgesetzt hatte.

Warum sollte man da ausgerechnet ihm nun ein Erpressungsmanöver durchgehen lassen, das fatale Wirkungen entfalten könnte? Was für eine Europäische Union bliebe übrig, wenn sich jeder Mitgliedsstaat künftig nach britischem Vorbild sein "Europa à la carte" zusammenstellen könnte? So weit darf und wird es nicht kommen.

Mit einer Fundamentalkritik liegt Cameron allerdings richtig: Die Brüsseler Regulierungswut ist einzudämmen, zumal unter allzu viel Bürokratie der "Eurokraten" nicht nur die Briten leiden. Das für föderale Systeme wie die Bundesrepublik und die Europäische Union so essenzielle Subsidiaritätsprinzip, demzufolge eine staatliche Aufgabe soweit wie möglich von der unteren Ebene vor Ort wahrgenommen werden sollte, wird ständig weiter ausgehöhlt.

In einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, das durch die Aufteilung in eine Euro- und eine Nicht-Euro-Zone heute schon Realität ist, ist das zumindest für den Teil der Nicht-Euro-Zone falsch. Ganz anders stellt sich das im Bereich der Euro-Zone dar. Hier ist es zur dauerhaften Überwindung der Krise erforderlich, dass die Nationalstaaten mehr Kompetenzen an eine Zentrale abgeben, die dann allerdings auch einer lupenreinen (!) demokratischen Legitimierung bedarf, die es heute noch nicht gibt. Cameron hat gestern ohnehin noch einmal unmissverständlich klargestellt, dass die Briten dem Euro "niemals" beitreten würden. Aber die Europäische Union gleich ganz verlassen?

Europa braucht die Briten: Großbritannien ist im internationalen Konzert nicht wegzudenken. Würde es sich außerhalb der EU bewegen, würde deren Außen- und Sicherheitspolitik noch mehr an Bedeutung einbüßen. Und die Briten brauchen Europa: Nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes zu sein, hätte mindestens für die britische Realwirtschaft katastrophale Folgen. Cameron weiß das genau. Er weiß, dass seine Ankündigung einer Volksabstimmung ein Spiel mit dem Feuer ist.

Von Helmut Kohl stammt der Satz, er fürchte Margaret Thatcher "wie der Teufel das Weihwasser". Vermutlich denkt Angela Merkel, wenn auch etwas abgeschwächt, nun ähnlich über Cameron. Nur sagen würde sie das freilich nicht.

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