Kommentar Claudia Pechstein - Wut und Mut

Als Claudia Pechstein ihr erstes olympisches Edelmetall gewann, zählte sie 20 Lenze. Das war 1992 in Albertville. Gestern sagte sie, die Spiele in Sotschi müssten keineswegs ihre letzten sein.

Das meint die 42-Jährige ernst. Die Energie, mit der sie verbissen ihr Ziel der zehnten Olympiamedaille im Eisschnelllauf verfolgt, ist längst nicht versiegt. Unbeobachtet von den Kameras, standen ihr nach Platz vier über 3000 Meter die Tränen in den Augen. Wohlfeil beantwortete sie wenig später im Fernsehstudio die Fragen von ZDF-Moderator Rudi Cerne.

Wut und Mut der Verzweiflung treiben Claudia Pechstein in ihrem nicht zu stillenden Erfolgshunger an. Als Ursache liegt nahe, dass sie sich seit Beginn ihrer Karriere nie ausreichend gewürdigt fühlte. In den Anfangsjahren stand die Berlinerin sportlich im Schatten der großen Gunda Niemann und wurde nach einem vierten Platz als "Pechbein" verunglimpft.

In die Rolle als Everybody's Darling schlüpften andere. Zuerst die jetzige ARD-Reporterin Franziska Schenk, später Strahlefrau Anni Friesinger. Zu der bayerischen Frohnatur, die das Herz auf der Zunge trug, pflegte Pechstein eine innige Abneigung, die 2002 bei den Spielen in Salt Lake City im schlagzeilenträchtigen Zicken-Zoff gipfelte.

Schuld haben in ihren Augen immer die anderen. Die Internationale Eislauf-Union macht Pechstein für das aus ihrer Sicht größte Unrecht verantwortlich: die Verurteilung zu einer zweijährigen Dopingsperre wegen vermeintlicher Blutmanipulation. Ein Urteil, das sie - mittels eines umstrittenen indirekten Nachweises - um die Olympia-Teilnahme 2010 brachte.

Am persönlichen Tiefpunkt dachte sie nach eigenen Worten sogar an Selbstmord. Die daraus resultierende Wut, gepaart mit ihrem sportlichen Mut, treibt sie weiter an. Und wird womöglich sogar dafür sorgen, dass Pechstein selbst 2018 in Pjöngjang - mit 46 Jahren - noch Genugtuung auf dem Eis-Oval sucht.

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