Kommentar Das Breivik-Urteil - Angemessen

Das Urteil von Oslo ist ein überzeugendes Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit. Es befreit Norwegen von jedem Zweifel, ob Anders Breivik zurechnungsfähig ist.

Die Unzurechnungsfähigkeit hätte den 33-jährigen Täter vor dem Gefängnis bewahrt, weil in Norwegen Unzurechnungsfähige zwar nicht ins Gefängnis, wohl aber in eine geschlossene Anstalt geschickt werden dürfen. Ungeachtet der Gefühlswelt der Angehörigen der Opfer bekam der rechtsextreme Massenmörder sogar die Gelegenheit, seine krude Rechtfertigung für die barbarischen Verbrechen vor Gericht einer breiten Öffentlichkeit vorzutragen.

Das Land, das sich nach dem 22. Juli 2011 zunächst in einem Schock-Zustand befand, hielt selbst eine Live-TV-Übertragung der Breivik-Aussagen aus. In einer sonst nur selten anzutreffenden Mischung aus wehrhaftem Selbstbewusstsein und weitreichender Toleranz hat Oslo diese Heimsuchung gut gemeistert. Ministerpräsident Stoltenberg hatte nach dem Tag des Grauens schnell die Richtung vorgegeben: Die Freiheitlichkeit behalte oberste Priorität.

Norwegen bekannte sich also in den dunkelsten Stunden seiner Geschichte nicht zu mehr Staat, sondern zur Liberalität. Das Königshaus, Politik und Gesellschaft lehnten mehr Staat in der Krise ab. Alle zusammen bildeten eine Koalition für Ausländerfreundlichkeit.

Und: Das Massenmord-Thema wird von keiner Seite im heraufziehenden Wahlkampf eingesetzt, obwohl es viele Ungereimtheiten im Verhalten vor allem der Sicherheitsbehörden in Oslo gab. Das ist eine Leistung, vor der man nur den Hut ziehen kann.

Aber das Verfahren rund um den Massenmörder wirft auch Fragen auf, die über die norwegischen Grenzen hinausweisen. Lehren daraus kann man auch in Deutschland ziehen.

Das beginnt bei der Antwort auf die Frage, wie es geschehen konnte, dass ein Einzeltäter über Jahre hinweg ein solches Attentat auf den gesellschaftlichen Frieden systematisch vorbereiten konnte, ohne dass er deswegen auffiel.

Das kann nur auf eine gute Portion gesellschaftlicher Gleichgültigkeit zurückzuführen sein, die den Täter umgab - ein Problem, das auch charakteristisch ist für den deutschen NSU-Terror.

Sicherheitsbehörden warnen schon seit geraumer Zeit davor, dass bei dem politisch und dem religiös motivierten Terrorismus eine brisante und nicht kalkulierbare Gefahr durch Einzeltäter entstehe. Breivik war ein solcher Einzeltäter, der in seiner eigenen Strategie zur Tötungsmaschine degenerierte.

13 Monate nach dem Bombenterror in Oslo und dem Massenmord an jungen Menschen in einem Zeltlager und am Tag nach dem Urteil muss Norwegen nun seine innere Ruhe zurückgewinnen. Die Verurteilung Breiviks zur nach Landesrecht geltenden Höchststrafe kann da nur hilfreich sein.

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