Kommentar zu den Terroranschlägen des IS Das falsche Wort

Krieg, sagt der französische Präsident. Krieg, sagt auch der Bundespräsident, der seine Worte zu wägen weiß. Und viele Kommentatoren greifen diese Formulierung auf: Hart zurückschlagen müsse man jetzt! Ein klares Zeichen setzen!

Das sei kein kriminelles Attentat, sondern ein Angriff auf unsere freiheitliche Gesellschaft insgesamt, auf unsere Lebensweise, auf die Werte des Westens. Werte und Freiheit gelte es mit aller Kraft zu verteidigen. Dafür müsse man zusammenstehen. Keine Frage: Die Analyse ist zutreffend. Der Westen fühlt sich mit Recht angegriffen. Die Reaktionen sind verständlich und spiegeln die Dramatik des Anschlags vom Freitag. Aber sind sie auch klug?

Krieg ist ein großes Wort und markiert das Ende der Politik mit diplomatischen Mitteln. Das vorläufige Ende jeder Differenzierung. Die Folge ist einschneidend, denn eine militärische Logik bestimmt, wie der Konflikt ausgetragen und gelöst wird. Die Politik der USA nach den Anschlägen vom 11. September zeigt indes, wie wenig damit in komplizierten Auseinandersetzungen auszurichten ist. Der Einmarsch der Amerikaner in den Irak ist ein Ursprung des aktuellen Terrors. Wer Krieg sagt und den Kampf eröffnet, geht den Terroristen auf den Leim. Sie allein profitieren, wenn sie aller Welt endlich eindeutig belegen können, dass der Westen die muslimische Welt als Feind begreift.

Dabei wird es doch vor allem darauf ankommen, die gemäßigten Kräfte zu stärken und mit ihnen Lösungen für die verfahrene politische Situation im Irak, in Syrien oder in Afghanistan zu finden. Nur wenn diese Länder, die Region selbst und alle, die dort Interessen verfolgen, an einen Tisch kommen und die Situation gemeinsam befrieden, wird auch der Westen wieder Ruhe haben. Dafür wird man auch mit Mächten verhandeln müssen, denen westliche Werte wie Freiheit, Menschenrechte und Demokratie fremd sind. Die Terroristen haben Unterstützer, machtvolle politische Freunde und potente Geldgeber. Ohne ihre Einwilligung wird es kein Ende des Terrorismus geben.

Krieg ist auch die falsche Antwort auf das, was in Frankreich der Hintergrund der Anschläge zu sein scheint. Denn auch wenn alle nach Syrien und zum IS schauen, ist doch deutlich, dass es um Fehlentwicklungen in den europäischen Ländern selbst geht. Hier - und man muss Belgien oder Deutschland ausdrücklich hinzurechnen - gibt es Gruppen in Einwanderermilieus, die nicht ausreichend integriert sind. Ihnen fehlen Anerkennung, Aufstiegschancen und Möglichkeiten, ihre Situation zu verbessern. Das mag man für berechtigt halten oder auch nicht. Aber es macht sie anfällig für die radikale Propaganda, die einfache Lösungen für komplizierte gesellschaftliche und persönliche Probleme verspricht. Die westlichen Gesellschaften müssen daher beantworten, ob sie diesen Terrorismus als Kriegserklärung werten wollen, oder ob sie diese Täter als Kriminelle behandeln wollen, die eine Ideologie nutzen, um ihre Taten zu rechtfertigen.

Die Bundesrepublik ist unter Helmut Schmidt gut damit gefahren, die Kriegserklärung nicht anzunehmen und die Abwehr des Terrorismus der Polizei und der Justiz zu überlassen. Wer an dieser Stelle einen Krieg erklärt, nimmt in Kauf, dass alle Muslime in unserer Gesellschaft unter Verdacht geraten. Das wäre eine falsche und gefährliche Entwicklung. Das wäre der Beginn einer weiteren Eskalation und würde dem Terrorismus neuen Nährboden bereiten. Wenn die Terroristen und ihre Hintermänner wie gewöhnliche Kriminelle behandelt werden, dann bleibt genug Spielraum, die Integration zu verbessern und damit die Ursachen des Terrorismus in Mitteleuropa auszutrocknen.

Krieg ist auch mit Blick auf die Flüchtlingsströme das falsche Wort. Die Menschen auf dem Weg nach Mitteleuropa sind zu einem erheblichen Teil auf der Flucht vor dem Krieg, den der IS jetzt nach Paris zu tragen versucht. Politiker, die die Gelegenheit nutzen, die Anschläge als Argument gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ins Spiel zu bringen, mögen ihre Gründe haben, aber tragen nichts zur Versachlichung einer ohnehin emotional aufgeheizten Debatte bei. Klüger wäre es, die beiden Themen zu trennen.

Krieg ist nicht der richtige Leitbegriff, denn es wird darauf ankommen, unterschiedliche Herausforderungen, differenziert und richtig zu beantworten. Gleichwohl wird es punktuell nicht ohne militärische Gewalt gehen, um die Voraussetzungen für Verhandlungen zu erhalten. Ein Syrien oder ein Irak in der Hand des IS wäre eine Katastrophe nicht nur für die Region. Mit guten Worten und geschickter Diplomatie allein ist der Terror im Moment nicht aufzuhalten. Wenn gemäßigte Kräfte erhalten bleiben sollen, müssen sie auch militärisch gestützt werden. Deutschland wird sich dem nicht entziehen können. Eine moralisch einwandfreie Haltung gibt es in diesen Fragen nicht. Kann es wie im Fall Libyen oder Irak gelingen, sich herauszuhalten? Frankreich ist Deutschland viel näher als die USA. Einen Bruch wird die deutsche Regierung nicht riskieren.

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