Kommentar zu Islamismus in Frankreich Das schleichende Gift der Radikalen

Meinung | Paris · Frankreichs Präsident sagt den Islamisten in den Vorstädten den Kampf an. Das Problem liegt allerdings wesentlich tiefer, kommentiert unser Autor.

 Emmanuel Macron (2.v.r), Präsident von Frankreich.

Emmanuel Macron (2.v.r), Präsident von Frankreich.

Foto: dpa/Sebastien Bozon

Emmanuel Macron befindet sich im Wahlkampfmodus. Im März finden in Frankreich Kommunalwahlen statt, ein sehr wichtiger Stimmungstest für den krisengeschüttelten Staatschef. Doch es sieht nicht gut aus für die Präsidentenpartei La République en Marche, weshalb Macron nun durch die Lande zieht und die Werbetrommel rührt. Jüngst profilierte er sich symbolträchtig am Mont-Blanc-Massiv als oberster Umweltschützer, dann eilte er ins Elsass nach Mulhouse, um in einem berüchtigten Problemviertel nach dem Rechten zu sehen.

Doch im Wahlkampf wird eher selten an der langfristigen Lösung von Problemen gearbeitet. Von den Politikern wird zugespitzt und viel versprochen, Sacharbeit sieht aber anders aus, das verlangt das sprichwörtlich mühsame Bohren von dicken Brettern. Auch bei seinem Tagesausflug nach Mulhouse hat Emmanuel Macron zuerst einmal kräftig mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Der „separatisme“ in den Banlieue müsse entschieden bekämpft werden, forderte er.

Das lässt aufhorchen, denn sprach der Präsident bisher über die problembeladenen französischen Vorstädte, benutzte er den Begriff „communautarisme“, um das Leben in einer Art Parallelwelt zu beschreiben. Nun also eine neue Diktion: Separatismus, die gezielte Ghettobildung, um sich vom Rest des Staates abzuschotten und einen eigenen, rechtsfreien Raum zu bilden. Emmanuel Macron hat eine „republikanische Wiedereroberung“ von Stadtteilen angekündigt, in denen Islamisten viel Einfluss haben.

Das ist ein richtiger Ansatz, der allerdings schwer umzusetzen ist. Eine der Schwierigkeiten besteht darin, dass es in Frankreich nach den islamistischen Anschlägen im Jahr 2015 mit mehr als 250 Toten schwierig geworden ist, das Großthema Islam konstruktiv und ohne allzu große Emotionen zu diskutieren. Angeheizt wird die Stimmung immer wieder vom rechtsextremen Rassemblement National um Marine Le Pen, die mit ihren Tiraden bei jeder Gelegenheit Öl ins Feuer gießt. Wobei eine geradezu unheilige Allianz zwischen den Extremen auf beiden Seiten zu beobachten ist. Die Islamisten brauchen die Rechten, um zu behaupten, die französische Gesellschaft sei rassistisch und unterdrücke Muslime. Und extreme Rechte braucht ihrerseits die Islamisten, um die Gefahren durch den Islam aufzubauschen und sich als Verteidiger der christlichen Zivilisation in Europa präsentieren zu können.

Das eigentliche Problem für das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionen besteht allerdings längst nicht mehr darin, dass sich die beiden Extreme gegenseitig bisweilen bizarre Vorwürfe machen. Im Zuge der Polarisierung wurden die Grenzen des Sagbaren langsam aufgeweicht. Inzwischen äußern selbst manche gemäßigten französischen Politiker offen ihre vorurteilsbeladenen Ressentiments gegenüber dem Islam.

Diese gesellschaftlich diffuse Stimmung der generellen Ablehnung einer Religion und deren Anhänger, spielt aber unweigerlich den radikalen Kräften in die Hände. Studien in Frankreich belegen, dass die große Mehrheit der Muslime keiner dschihadistischen Version des Islam nahestehen. Doch radikale Prediger schaffen es immer wieder, den Gemeindemitgliedern das Gefühl zu geben, mit ihren Sorgen ernstgenommen zu werden. Das kommt sehr gut an bei den sozial benachteiligten Schichten in den Vorstädten der großen Metropolen, wo vor allem die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen bis zu 40 Prozent erreicht, wo die Familienstrukturen oft kaputt sind und wo der Drogenhandel und die Prostitution grassiert.

Emmanuel Macron ist auf dem richtigen Weg, wenn er bei seinem Besuch in Mulhouse den Problemvierteln mehr Hilfe verspricht. Natürlich will er Stärke zeigen und die Polizei vor Ort besser ausstatten. Doch das allein genügt nicht. Der Staatschef plant auch, mehr Sozialarbeiter auf die Straße zu schicken, Schulen zu fördern und Sportvereine zu unterstützen. Um die Köpfe der Menschen zu gewinnen, will er die Ausbildung der Imame in Frankreich verbessern, deren Einreise aus dem Ausland verbieten und die Finanzierung von Moscheen transparenter zu machen. Das islamische Kulturzentrum in Mülhausen wird etwa unter der millionenschweren Beteiligung des Emirats Katar gebaut. Der Vorwurf steht im Raum, das Land unterstütze massiv illegal die radikal-islamischen Muslimbrüder in Europa bei ihrem Bestreben einer aggressiven Missionierung.

Der Kampf gegen die radikalen Kräfte wird allerdings nicht nur in den französischen Vorstädten geführt. Der demokratische Rechtsstaat muss jeden Tag beweisen, dass er das erstrebenswertere System ist. Dazu gehört, dass soziale Ungerechtigkeiten beseitigt werden und jeder die Chance zum Aufstieg hat. Gerade in Frankreich entscheidet allzu oft noch die Herkunft eines Menschen über dessen Zukunft. Emmanuel Macron kennt diese Forderungen sehr gut, sie werden auch von den Gelbwesten seit über einem Jahr gestellt.

Der Präsident hat Recht, wenn er in Mulhouse von den Muslimen das Einhalten der republikanischen Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einfordert – dasselbe gilt aber auch für den französischen Staat.

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