Kommentar Das System Putin - Leittier in Nöten

Auf die Kraniche haben sie verzichtet, haben die Bilder vom fliegenden Präsidenten in weißer Vogelkluft gar nicht erst in die Schau genommen, die sie "Einfach Putin!" tauften und die seit gestern zu sehen ist. Sie hätten den Menschen hinter dem Staatsmann zeigen wollen, sagen die Ausstellungsmacher aus Moskau und St. Petersburg, einen Menschen in 120 Bildern, pünktlich zu seinem Geburtstag.

60 Jahre ist der russische Staatschef Wladimir Putin gestern geworden, in Russland ein Rentenalter. Putin aber denkt nicht an die Rente und könnte noch zwölf Jahre das flächengrößte Land der Erde lenken, weiterhin verhaftet im verinnerlichten Geheimdienstdenken, wo Loyalität zu den zentralen Tugenden gehört und der Bruch mit ihr eine unvermeidliche Strafe nach sich zieht, wo Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen werden.

Der "Mensch Putin" ist zur Marke geworden, zum Heiligen und Dämon zugleich. Verehrt als "Gesandter Gottes" und verdammt als "Zerstörer Russlands". Immer noch preist er Stabilität als Grundwert für das Bestehen der Nation.

Sie jedoch, mantraartig wiederholt, ist längst zur Floskel verkommen und der Stagnation gewichen. Putins mediale Selbstinszenierungen verschleiern das Fehlen politischer Ideen im Kreml. Das Leittier ist in Nöten.

Gern verkauft sich Putin als der Retter Russlands aus den dunklen, den wilden 90er Jahren. Er habe das Banditentum - die Oligarchen, die das Sagen im Staat übernommen hatten - bekämpft, habe das Land gefestigt, den Menschen Wohlstand gebracht. Das ist tatsächlich so, dafür sind ihm die Russen, selbst seine heutigen Kritiker, dankbar.

Nach den verheerenden 90er Jahren, als das Land sich, natürlich ohne jegliche Erfahrung, in Demokratie übte und dabei so manche Werte teils pervertierte, sehnte sich die russische Gesellschaft nach einem Typus Putin'scher Statur: Jung und durchsetzungsstark verschaffte er den Menschen die Hoffnung auf Perspektiven. Mit der Idee der Stabilität konsolidierte er die Gemeinschaft quer durchs Land.

Doch die Stabilität des Jahres 2000 war eine andere als die vermeintliche Stabilität des Jahres 2012. Hatte er die einen Oligarchenkreise zerstört, schaffte er eine anders geformte korrupte Oligarchie aus Milliardären, die sich an ihren Status quo klammert und Veränderungen scheut. Die russische Gesellschaft ist in diesen zwölf Jahren eine andere geworden, fordert sie doch, zu Wohlstand gekommen, nun auch politische Teilhabe ein.

Der Kreml aber ist stehen geblieben, pflegt nach wie vor die Idee von einer bipolaren Welt - und zieht so die Daumenschrauben an, sei es mit verschärftem Demonstrationsgesetz, absurden Gerichtsprozessen oder der Verfolgung von Nichtregierungsorganisationen als "ausländischen Agenten".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Bütt läuft langsam leer
Kommentar zum Beueler Hallenbad Die Bütt läuft langsam leer
Arndt kann weg
Zur Namensdebatte am Bonner Gymnasium Arndt kann weg
Zum Thema
Sina Zehrfeld
zur Flüchtlingsunterbringung
Die Nagelprobe kommt erst noch
Kommentar zur FlüchtlingsunterbringungDie Nagelprobe kommt erst noch
Schneller und unbürokratischer
Kommentar zur Integrationspolitik Schneller und unbürokratischer
Ganz spezielle Brötchen
So gesehen Ganz spezielle Brötchen
Bitte keinen Parteiklüngel
Zur Personalpolitik in Bonn Bitte keinen Parteiklüngel
Aus dem Ressort