Kommentar Das Wahlprogramm der SPD - Steinbrücks Beine

Das muss man den SPD-Größen schon lassen: Je tiefer die Krise, desto großspuriger ihr Auftreten. Es ist zur Zeit nicht einmal sicher, ob die Sozialdemokraten das vernichtende Resultat von 2009 überhaupt werden halten können.

Es gibt einige wichtige Indikatoren, die dagegen sprechen: Gegen eine hyperpopuläre Regierungschefin lässt sich sehr schlecht erfolgreich Wahlkampf machen. Vor allem, wenn man mit einem Kanzlerkandidaten geschlagen ist, der Diplomatie als allerletztes Mittel der Politik ansieht.

Er bricht damit mit einer Erfolgsgeschichte deutscher Diplomatie, die auch unter einem Außenminister Steinmeier galt. Steinbrück muss lernen, dass solch plumpes Auftreten keine neue Sympathie für die Partei erbringen wird, sondern im Gegenteil zu erheblichem Vertrauensverlust führt.

Für Steinbrück sind die ersten Monate dumm gelaufen. Die politische "Beinfreiheit", die er sich von der Basis erbeten hatte, bekam er. Allerdings ist sich die Partei nicht ganz schlüssig in der Frage, ob mit der Beinfreiheit-Formel nicht etwas ganz anderes gemeint war: nämlich ein Freibrief für Fehler jedweder Art.

Die Personalie des Kanzlerkandidaten hat aber auch eine innerparteiliche Komponente: Die Genossen trauen Steinbrück den Sieg nicht mehr zu. Und dieses, obwohl alle Parteien die Sozialpolitik an die erste Stelle ihrer Prioritäten gesetzt haben. Das heißt, dass die Linke in Deutschland ein Offensivthema hat.

Und das wird sie, soviel ist klar, kräftig ausschlachten. Angela Merkel und die Union ihrerseits weichen beispielsweise in der Frage eines flächendeckenden einheitlichen Mindestlohns kilometerweit von der bislang gehaltenen Meinung ab und gehen plötzlich in die Offensive. Ähnliches gilt gerade für die FDP, die hier offen eine politische Wende debattiert.

Das Programm der SPD lässt die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung der Agenda 2010 beiseite. Gerhard Schröder gab sich die Ehre eines Interviews. Der Altkanzler verteidigte seine Hartz-IV-Politik. Dies ist nicht die durchgängige Haltung der sozialdemokratischen Partei, signalisierten Parteichef Gabriel und seine Helfer. Wird zu sehr von der großen Koalition geschwärmt, wie bei der Umsetzung der ursprünglich rot-grünen Vorstellungen, kommen Spekulationen über Neuauflagen in die Debatte.

Für die SPD unter Peer Steinbrück lohnen sich diese Beobachtungen. Richtig listig wird es bei der anstehenden gesellschaftspolitischen Debatte: Was wird aus der Homo-Ehe? Kann eine bürgerliche Koalition an diesem Punkt scheitern? Fällt der SPD die Rolle des lachenden Dritten zu? Die SPD hat mit ihrem Wahlprogramm die bestehende Entscheidungslage bekräftigt. Aber wichtiger ist, dass die Erwartungen realistisch bleiben.

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