Kommentar Der Boom der Piratenpartei - Vorsicht, Enterhaken!

Ob sie sich halten, ob sie mehr sein werden als eine temporäre Erscheinung? Niemand vermag das im Moment zu sagen - kein Wahlforscher, kein Generalsekretär, keiner ihrer Wähler. Fest steht: Die Piraten sind da. Und wie!

Und fest steht: Die politische Konkurrenz reibt sich verwundert die Augen und rätselt, warum Protest und allgemeine Politikverdrossenheit ausgerechnet bei der Piratenpartei in Sympathie und Prozentpunkte umschlägt. Das jüngste Wiegen misst sie bei zwölf Prozent. Damit sind sie nur noch einen Schritt hinter den Grünen. Zwölf Prozent! Aber wofür?

Für die Erwartung, dass Piraten andere Politiker sind. Als Vertrauensvorschuss dafür, dass Piraten keine vorgestanzten Antworten haben. Und wenn sie mal keine haben, wie beispielsweise zur wesentlichen Frage der Euro-Rettung oder des Afghanistan-Einsatzes, ist es auch nicht so schlimm.

Denn kompliziert, das können die anderen (etablierten) Parteien besser. Der Protest mag leichte Antworten in einer komplizierten Welt. Und er schätzt es, sich leicht und schnell auszutauschen. Die netzaffinen Piraten machen damit ihren Staat, auch wenn sie in der Realpolitik noch durch jeden, aber wirklich jeden Praxistest müssen.

Piratenpartei heißt Mitmachpartei! Das macht Spaß, das schenkt das gute Gefühl von Einfluss, von gefragt werden, auch wenn bei den Piraten alle überall mitmachen. Die Strukturen sind so wie das weltweite Netz: anarchistisch. Das ist hip. Und Hip braucht zunächst keine Inhalte. Gewählt wird ein Lebensgefühl.

Die Piratenpartei verkörpert genau dieses Lebensgefühl, unabhängig, selbst bestimmt, modernistisch und irgendwie auch revolutionär zu sein, ohne dabei gleich eine echte Revolution loszutreten. Eine Revolution ohne Gefahr für die eigene Existenz - das gefällt,dabei kann jeder mitmachen, das spricht an. Wie gesagt: zwölf Prozent! Das ist kaum zu fassen.

So wenig, wie ihre politische Positionierung im bundesdeutschen Parteienspektrum. Die Piraten sind nicht Rechts, sie sind nicht Links (auch wenn viele das glauben). Sie sind auch nicht richtig Mitte. Sie sind diffus, sie wissen noch (lange) nicht, wo sie hinwollen. Sie sind jung (als Partei), sie sind unschuldig, sie sind unbedarft. Das zieht ihre Wähler an.

Die etablierten Parteien sind darüber einigermaßen ratlos. Was tun? Niemand traut sich, die Piratenpartei offen anzugreifen, weil das kontraproduktiv wirken könnte. Dass es den Piraten in allen entscheidenden Fragen des Sozialstaates, der Wirtschafts- und Finanzpolitik, von NATO und Europäischer Union an Inhalten fehlt...

Ihre Wähler stört das nicht. Der Siegeszug der Piratenpartei wird wohl weiter gehen: Schleswig-Holstein, NRW, Niedersachsen, Bund. Sie reiten auf einer Welle, die erst mal nicht abebbt. Danach kommt der Landgang. Und der wird hart. Dafür reicht cooler Charme dann nicht mehr.

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