Kommentar Der Fall Edathy und die Folgen - Merkel-Dämmerung

Die große Koalition leistet sich ein Trauerspiel in mehreren Akten. Am Anfang standen Dienstpflichtverletzungen, um es zurückhaltend zu formulieren, und jede Menge Geschwätzigkeit.

Es folgte ein Ministerrücktritt, und jetzt ist Rache angesagt. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Zur Debatte steht nicht mehr der Vertrauensverlust in den jeweiligen Partner der großen Koalition, sondern die Vergrößerung dieser Entfremdung. Die CSU hat sich so auf den SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann eingeschossen, dass nur die Bundeskanzlerin diese Revanchegelüste hätte stoppen können.

Hat sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie lässt durch ihren Regierungssprecher mitteilen, es sei zu prüfen, ob sich ein Regierungsmitglied fehlerhaft verhalten habe. Das kann sich nur an die Adresse der SPD richten, denn das eigene Regierungsmitglied ist ja schon zur Demission gezwungen worden. Aber der sozialdemokratische Minister, der in der Affäre Edathy eine zwielichtige Rolle spielt, kann von Merkel nicht gemeint sein: Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Fällt er, ist die Koalition am Ende.

[kein Linktext vorhanden]Also hat Angela Merkel gestern das getan, was schon seit geraumer Zeit in ihrem Regierungshandeln zu beobachten ist: Sie wird unklarer, lässt die Dinge laufen, sendet zwiespältige, missverständliche Signale. Die CDU-Vorsitzende lässt trotz eines Wahlsiegs unerwarteten Ausmaßes Führung vermissen, denn der schnelle Rauswurf des Hans-Peter Friedrich war eine vergleichsweise leichte Übung, eine Selbstverständlichkeit.

Wenn Oppermann gehen muss, warum dann nicht Gabriel? Schließlich hat der SPD-Vorsitzende die Vertraulichkeit gebrochen, um die Friedrich gebeten hatte. Oppermann hat allerdings die Dummheit (er nennt es Ehrlichkeit) besessen, den Fall öffentlich zu machen. Und die noch größere Dummheit, den BKA-Chef auszufragen. Dass der das nicht mit sich machen ließ, spricht für ihn. Aber schon der Versuch ist strafbar. Zumindest im politischen Sinne.

Also hat Oppermann schlechte Karten, weil die CSU ein Opfer braucht, das nicht Gabriel heißen kann. So schnell können Karrieren zu Ende gehen - wenn es denn so kommt. Wenn die Union clever ist, lässt sie sich die causa Edathy nicht in Personenopfern, sondern in Sachwährung bezahlen.

In Kompromissen bei der vorzeitigen Rente, beim Mindestlohn, bei der Maut und was es sonst noch alles in der ellenlangen Streitliste der Koalition gibt, die gerade mal zwei Monate amtiert. Das Mindeste, was also ansteht, sind neue Koalitionsverhandlungen, die die Schieflage der Ergebnisse korrigieren - zu lasten der SPD. Doch selbst wenn es dazu käme: Das fröhliche Vertrauen der ersten Wochen ist dahin. Diese Koalition wird nie wieder die Basis haben, auf der sich Union und SPD im Herbst gefunden hatten.

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