Der Irak nach dem Abzug der USA: Gefährliches Vakuum

Kaum waren das Sternenbanner im Irak eingeholt und die US-Truppen nach Hause geholt, da wurde das Erbe, das die Amerikaner neun Jahre nach dem Irak-Krieg hinterlassen hatten, unübersehbar: Sofort brachen im Irak die gefürchteten Bruchlinien des Bürgerkriegs zwischen Schiiten und Sunniten auf.

Den Anfang machte der schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki, als er verkündete, den sunnitischen Vizepräsidenten Tarek al-Haschemi verhaften zu wollen. Und während die Iraker noch hofften, dass es sich dabei nur um einen Machtkampf in ihrer Politikerkaste handelte, erreichte der Konflikt auch schon die Straße. Denn kurz nachdem Haschemi aus Bagdad geflohen war, wurde die irakische Hauptstadt gestern gleich durch zwölf Bomben erschüttert. Bagdad erlebt ein Déjà-vu der übelsten Zeiten des Bürgerkrieges.

Der schiitische Ministerpräsident Maliki versucht, mit Haschemi seine sunnitische Konkurrenz in Bagdad auszuschalten. Dieser soll in Bürgerkriegszeiten Morde gegen seine politischen Gegner in Auftrag gegeben haben, lautet der Vorwurf. Aber auch die schiitischen Politiker haben mit Blick auf die schlechten alten Zeiten und im Hinblick auf die von ihnen damals unterstützen Milizen alles andere als eine saubere Weste. Und in den letzten neun Jahren wurden auch keine Institutionen geschaffen, die faire Gerichtsprozesse oder gar eine Aufarbeitung der Vergangenheit garantieren. Nun hat also genau diese Vergangenheit den Irak eingeholt.

Das alte schiitisch-sunnitisch-kurdische Konflikt-Dreieck steht wieder im Zentrum der irakischen Politik. Der sunnitische Vizepräsident flieht vor dem schiitischen Premier in die kurdischen Gebiete, womit den Kurden, die ihre eigenen Interessen im irakischen Machtgerangel haben, wieder einmal die Vermittlungsrolle zukommt.

Hinter dem ganzen Schlamassel steht eine instabile regionale Lage. Iraks Sunniten fürchten, dass der Iran das Machtvakuum ausfüllen wird, das die Amerikaner im Irak hinterlassen haben. Tatsächlich ist der fragile Irak eine leichte Beute für das benachbarte Regime in Teheran.

Iraks Schiiten dagegen blicken mit Sorge auf das andere Nachbarregime. Ein Sturz des syrischen Diktators Baschar Assad könnte sich für sie negativ auf die Machtverhältnisse auswirken. Denn: Fällt das säkulare, von einer alawitischen Minderheit getragene Regime in Damaskus, dann hätte das wahrscheinlich eine Stärkung der religiösen sunnitischen Strömung in Syrien zur Folge. Ein neues Syrien würde damit automatisch eine Stärkung der Sunniten im Irak bedeuten.

Eines haben die letzten Tage jedenfalls deutlich gemacht: Die USA haben, anders als versprochen, weder einen national geeinten, noch einen demokratischen Irak hinterlassen.

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