Kommentar Der Nahostkonflikt - Netanjahus Zwickmühle

Der Krieg in Gaza ist noch nicht vorbei, auch wenn Israel den größten Teil seiner Bodentruppen in den direkten Grenzraum des Palästinensergebiets zurückgezogen hat.

Der einseitige Rückzug birgt Risiken für die Regierung in Jerusalem, denn ein Teilrückzug ist kein Sieg, kann sogar als Niederlage gewertet werden - als Eingeständnis, den Gegner nicht bezwingen zu können oder zu wollen.

Premier Netanjahu will es nicht so weit kommen lassen. Am Samstagabend versprach er den Israelis, dass die Waffen erst schweigen würden, wenn die Islamisten keine Raketen mehr auf israelische Städte abfeuern. Trotzdem sieht der Abzug wie ein Zeichen der Schwäche aus.

Richtig ist: Der Premier ist in einer Zwickmühle, da er den Gazastreifen nicht wieder dauerhaft besetzen will. Das Wissen darum verschaffte der Hamas und ihren Verbündeten den zweifelhaften Vorteil, um ihre Macht nicht zittern zu müssen.

Über 1800 Tote, die meisten Zivilisten, ein Fünffaches an Verletzten und unglaubliche materielle Zerstörungen haben die radikalislamischen Machthaber nicht abschrecken können, weiter aus ihren unterirdischen Stellungen zu schießen.

Es wird nach dem Ende der Gefechte zu untersuchen sein, ob die israelische Armee Kriegsverbrechen begangen hat. Das wird aber nichts daran ändern, dass niemand der Hamas die primäre Schuld absprechen kann, in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt einen Raketenkrieg begonnen zu haben.

Innenpolitisch besteht für Netanjahu die Gefahr, dass die extreme Rechte im Kabinett ihm die Rückendeckung entzieht, und zwar dann, wenn seine Strategie nicht aufgeht und die Raketen und Mörsergranaten aus Gaza weiter fliegen.

Dann könnten diese Kräfte eine Wiederbesetzung des Gazastreifens durchsetzen. Ein Schritt mit unabsehbaren ökonomischen und sicherheitspolitischen Folgen für Israel, der zudem einen umfassenden Nahost-Frieden als ferne Utopie erscheinen lassen würde.

Dieser Konflikt ist nicht mit Waffen zu lösen, weil die Strategie der Abschreckung bei technologisch unterschiedlich ausgestatteten Gegnern nicht greift. Er ist aber auch nicht zu lösen, indem man der Hamas ihre immer noch beträchtlichen Raketenbestände belässt.

Ohne eine Entmilitarisierung, die durch politische Verhandlungen unter internationaler Aufsicht erfolgen muss, wird sich Israel nicht auf die dringend notwendige Öffnung der Grenzen von Gaza einlassen.

Wenig spricht allerdings dafür, dass die Hamas dazu bereit sein könnte. Erfolgversprechender ist der Vorstoß von Justizministerin Tsipi Livni, die Netanjahu dazu drängt, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas endlich als ernst zu nehmenden Verhandlungspartner anzusehen.

Israel muss erkennen, dass gemäßigte palästinensische Kräfte, die dem Terror abgeschworen haben, zu stärken sind. Hamas-Führer Ismail Hanijeh hatte nach dem Abzug der Israelis aus Gaza 2005 erklärt, die Kassam-Raketen hätten den jüdischen Feind vertrieben. Genau diesen Eindruck kann Netanjahu jetzt nur vermeiden, indem er sofort mit dem eigentlichen Friedenspartner verhandelt.

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