Kommentar Der NSU-Prozess - Zschäpes Manöver

Dieser Prozess ist ohne Beispiel. Weil auch die Taten ohne Beispiel sind: zehn Morde an acht türkischstämmigen und einem griechischen Kleinunternehmer sowie an einer deutschen Polizistin. Dazu noch 15 bewaffnete Banküberfälle, zwei Sprengstoffanschläge, versuchter Mord und besonders schwere Brandstiftung.

Es war eine bislang beispiellose Blutspur durch das gesamte Bundesgebiet, zu der Fahnder auf allen Ebenen es über Jahre nicht schafften (oder nicht schaffen wollten), Urheber, Helfer und Helfershelfer zuzuordnen und zu verfolgen. Und auch das Verhalten, präziser gesagt: das kalte und ignorante Stillhalten der Hauptangeklagten ist einzigartig.

Ein singulärer Fall. 128 Verhandlungstage hat Beate Zschäpe, einer der Köpfe des rechtsterroristischen Netzwerkes "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), den Hinterbliebenen der Opfer demonstrativ ihren Rücken zugewandt, sie damit verhöhnt und vor allem geschwiegen.

Jetzt könnte der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München eine abrupte Wende erfahren. Beate Zschäpe will sich von ihren Pflichtverteidigern trennen und hat dem Gericht die Begründung geliefert, warum ihr Vertrauen in ihre Anwälte angeblich zerrüttet ist. Die Frage aller Fragen: Gibt Beate Zschäpe ihr Schweigen auf, das womöglich der zentrale Grund für ihren Vertrauensverlust in ihre Anwälte sein könnte, so widersprüchlich dies zunächst klingen mag?

Schweigen kann sehr anstrengend sein, wenn über Monate bohrende Fragen auch von Hinterbliebenen der Opfer auf einen einprasseln. Eine taktisch verordnete Aussageverweigerung kann auch eine nervenstarke Angeklagte psychisch erschöpfen. Das mögliche Kalkül ihrer Anwälte, die Anklage bringe keine belastbaren Beweise für eine Verurteilung zustande, solange die Mandantin nur schweigt, könnte mittlerweile nicht mehr aufgehen.

Mehrere Zeugen, darunter mit dem Neonazi Tino Brandt ein früherer V-Mann, haben Zschäpe schwer belastet. Die frühere Gesinnungsgenossin sei eben "keine dumme Hausfrau" gewesen.

Wenn schweigen nicht mehr weiter führt, vielleicht hilft dann reden. Bislang ist ein Nicken Zschäpes ihre einzig aktive Teilnahme an dem Prozess. Ein Nicken auf die Frage, ob sie das Vertrauen in ihre Verteidiger verloren habe.

Wenn Zschäpe ihre Anwälte tatsächlich austauschen will, kann ihr der Verweis auf deren mögliche Verteidigungslinie - diese hätten sie zum beharrlichen Schweigen vor Gericht verdonnert - helfen. Das Gericht muss dieser Argumentation nicht folgen. Aber es muss dennoch das Ziel haben, diesen einzigartigen Prozess frei von jeglichen Rechtszweifeln ins Ziel zu bringen. Eine Hauptangeklagte, die doch noch spricht, könnte dabei helfen. Nach 128 Verhandlungstagen wäre dies eine echte Wende.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Helge Matthiesen
zu den weltweiten Militärausgaben
Eine andere Welt
Kommentar zu den weltweiten MilitärausgabenEine andere Welt
Zum Thema
Nur Warten reicht nicht
Kommentar zur Frühjahrsprognose Nur Warten reicht nicht
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Bekenntnis zur Truppe
Kommentar zum Veteranentag Bekenntnis zur Truppe
Aus dem Ressort