Kommentar Der Politische Aschermittwoch - Beißhemmung

Man stelle sich vor, es ist Politischer Aschermittwoch und in Berlin regiert eine große Koalition. Was dann? Der CSU und ihrem allmächtigen Vorsitzenden Horst Seehofer fehlt tatsächlich ein Gegner: die SPD.

2013, im Jahr von bayerischer Landtagswahl und Bundestagswahl, drosch Seehofer noch nach allen Regeln bayerischer Biertische auf die SPD ein. Eher finde man einen Maibaum in der Sahara als eine Idee bei den bayerischen Sozialdemokraten. Und im Vergleich zum damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, "Schuldenkönig" von Deutschland, spreche er selbst "garantiert honorarfrei". Ein echter Seehofer.

Und 2014? Nur noch Seehofer light. Große Koalition, noch größere Aufgaben, ziemlich kleine Angriffslust, große Portion Kreide - an einem Politischen Aschermittwoch in Passau. Als Ersatzgegner müssen für Seehofer die europäischen Allesregler in Brüssel herhalten, was immer gut ankommt, weil das bürokratische Monstrum ohnehin keiner versteht, erst recht, wenn sie auch noch die Höhe der Schaumkrone in bayerischen Maßkrügen vorschreiben würden. Natürlich gilt in Passau die Devise: Bayern zuerst! Noch ein wenig Eigenwerbung. Mit der Arbeit des bayerischen Ministerpräsidenten seien 76 Prozent der Menschen im Freistaat zufrieden. 76 Prozent?! Eine wirklich schöne Umfrage. König Horst lässt grüßen.

Und siehe da, auch die SPD hat mit dem Eintritt in die große Koalition irgendwie Beißhemmung. Regieren verpflichtet - zu Loyalität mit dem einstigen Gegner, erst recht, seit SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann seinen Beitrag für den erzwungenen Abgang von Bundesagrarminister Hans-Peter Friedrich (CSU) geliefert hat. So lässt Seehofer in Passau Friedrich hoch leben, die SPD gibt sich kleinlaut, wenn man von Landeschef Florian Pronold einmal absieht. Eine kleine Breitseite gegen Seehofer - unter Bayern, versteht sich. Immerhin darf sich SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz wegen der Krim-Krise um die Einigkeit Europas sorgen.

Der große Klamauk, die ungebremste Attacke, die ungeschminkte Wahrheit durch die eigene Parteibrille ist in diesem Jahr zugunsten des großkoalitionären Waffenstillstands ausgefallen. Union und SPD haben auch am Aschermittwoch ein bisschen Bundestag gespielt: Selbstgespräch unter Regierungspartnern.

Die kleine Opposition von Linken und Grünen wie auch die außerparlamentarische Opposition von FDP oder Alternative für Deutschland versuchen dagegenzuhalten. Doch wo mangels Masse keine echte Chance auf Kontrolle der Regierenden ist, will die Attacke auch am Aschermittwoch irgendwie nicht gelingen. Dabei hätte die Opposition jeden Grund für einen Auftritt. Die Marschmusik der großen Koalition klingt - nicht nur am Aschermittwoch - immer noch reichlich schief.

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