Kommentar zur Umzugsdebatte Der Preis des Wortbruchs
Bei dieser Zahl schnappt man nach Luft. Bis zu 26 000 Jobs könnte es Bonn und die Region nach Berechnungen des Wirtschaftsexperten Hermann Tengler kosten, falls die Bundesregierung einen Komplettumzug aller Ministerien nach Berlin durchpeitscht.
Selbst wenn sie die Verluste durch Kompensationsmaßnahmen abmildert, droht noch ein immenser Schaden. Preisfrage: Warum riskiert das Merkel-Kabinett ohne Not eine solche Debatte?
Um Geld kann es nicht gehen. Die jährlichen Teilungskosten liegen bei rund zehn Millionen Euro, während ein Umzug einschließlich Neubauten in der Hauptstadt Milliarden verschlingt. Bis sich diese Investition amortisiert, vergehen Jahrzehnte. Also: Es ist schlicht das Bestreben einzelner Minister, ihre Ressorts aus Effizienzgründen in Berlin zu konzentrieren - obwohl räumliche Distanz im Digitalzeitalter eine geringe Rolle spielt.
Und so wird das Berlin/Bonn-Gesetz seit Jahren mit stetigem Stellenabzug unterlaufen. Diesen Zug stoppt niemand mehr, und ebenso klar ist, dass die Regierung mit einer Bundestagsmehrheit für eine Gesetzesänderung rechnen darf.
Bonn und die Region können nur noch versuchen, den Preis für den Berliner Wortbruch nach oben zu treiben. Neue Bundesbehörden, die dem Anspruch genügen, zweites bundespolitisches Zentrum zu sein, schaffen einen Ausgleich für wegfallende Ministeriumsjobs - aber keinen umfassenden Ersatz für Ministeriumsadressen in Bonn. Ob die Erstsitze komplett nach Berlin wandern, ist geschenkt; die stehen auch heute nur auf dem Papier.
Ziel muss aber sein, zumindest so viele (wenn auch abgespeckte) Zweitsitze wie möglich zu retten, damit Verbände und Organisationen ihre Ansprechpartner vor Ort behalten. Bei wichtigen Bonner Zukunftsthemen wie Wissenschaft, Entwicklungshilfe und Internationales darf der Ministeriumssitz am Rhein außerdem nicht bis zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen. Es liegt im gesamtdeutschen Interesse, Bonn als Standort der Vereinten Nationen zu stärken - und nicht zu schwächen.
Viel Zeit bleibt der Region nicht mehr, um sich zu formieren. Diverse Anzeichen deuten darauf, dass Bundesministerin Hendricks gewillt ist, eine Änderung des Berlin/Bonn-Gesetzes vorzubereiten. Logisch wäre, wenn sie das noch in der laufenden Legislaturperiode mit der großen Koalition im Rücken versuchen würde. Das hieße: Gesetzentwurf noch 2016 durchs Kabinett, dann in den Bundestag und den Bundesrat, um mit dem brisanten Thema nicht ins Wahljahr 2017 zu geraten. Jetzt möglichst schnell ein regionales Krisentreffen zu organisieren, ist ein ziemlich sinnvoller Vorschlag der Bonner FDP. Die Initiative dafür könnte der neue Oberbürgermeister Ashok Sridharan schon nächste Woche übernehmen.