Kommentar Deutschland/Frankreich - Normal, nicht banal

Der Hartmannsweilerkopf ist ein Ort mit Symbolkraft: Zwischen Frankreich und Deutschland gelegen, wurde die Bergkuppe in den Südvogesen mit Ausblick ins Elsass und auf die Ebene des Oberrheins zu einem blutigen Schlachtfeld im Ersten Weltkrieg.

30.000 Soldaten ließen hier ihr Leben. Über die Schützengräben und Explosionskrater ist Gras gewachsen, genau wie über die Feindschaft der einstigen Kriegsgegner. Aus ihr entstand etwas anderes: eine Freundschaft, die sicher zweckmäßig, doch stabil ist. Beide Partner sind nicht immer einer Meinung, aber das zueinander Stehen erscheint heute selbstverständlich, normal. Banal ist es nicht.

Darauf wiesen die beiden Präsidenten François Hollande und Joachim Gauck bei ihrer Gedenkzeremonie zum 100. Jahrestag der Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich hin. Ihr gemeinsames Auftreten an eben diesem Ort war ein starkes Signal und mehr als eine Pflichtveranstaltung mit wohlklingenden Sonntagsreden in diesem an Jubiläen reichen Jahr.

Die Umarmung von Gauck und Hollande am Hartmannsweilerkopf vor Jugendlichen und Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs aus beiden Ländern war ein emotionaler, ein großer Moment. Und das umso mehr vor dem Hintergrund der kriegerischen Konflikte von gegnerischen Lagern, die sich jeweils im Recht fühlen und es lieber zu einer blutigen Eskalation mit Tausenden zivilen und militärischen Opfern kommen lassen statt nachzugeben, bevor es die andere Seite tut.

Dass heute ohne eine grundsätzliche Einigung dieser beiden Pfeiler in Europa nichts vorangeht, erscheint inzwischen wie eine Binsenweisheit, so oft wird sie wiederholt. Denn alle haben verinnerlicht, dass ein deutsch-französischer Kompromiss ohne Alternative ist, weil man gemeinsam stärker ist als alleine oder gar gegeneinander.

Diese Gewissheit übergeht, wer sich nur auf das distanzierte Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande oder bestehende Streitpunkte fokussiert - von der Frage, wie und in welchem Tempo der Haushalt saniert werden sollte bis zur konkreten Ausgestaltung einer Euro-Wirtschaftsregierung. Auch herrscht durchaus Misstrauen: Auf der deutschen Seite gegenüber Frankreichs Seriosität bei seinen Reform- und Sparversprechen, auf der französischen speist es sich aus der Furcht vor einer Dominanz des wirtschaftlich übermächtigen Nachbarn.

Mehr Abstimmung und Interesse an den oft historisch begründeten Ursachen für Unterschiede täte Not. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind immer noch ausbaufähig, aber bereits tief, vielfältig - und grundsätzlich gut.

Das gilt ganz besonders für die Zivilgesellschaften. Schönstes Beispiel dafür sind die 100 jungen Leute aus beiden Ländern, die mit echtem Enthusiasmus beim Programm des Deutsch-Französischen Jugendwerks rund um die Gedenkveranstaltung im Elsass mitgemacht haben.

Ihnen erscheint ihre Freundschaft selbstverständlich und wertvoll zugleich. Der Austausch ab dem Schulalter, der durch Studienaufenthalte, Reisen, Freundschaften und nicht zuletzt die vielen deutsch-französischen Ehen weitergeführt wird, ist so dicht, dass die Feststellung der Nähe wie eine Floskel klingt. Weil sie heute so normal ist - aber nicht banal.

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