Kommentar Deutschland-Frankreich - Total normal

Ein Staatschef beglückwünscht die Jugend eines Landes, dem sein eigenes Volk jahrhundertelang als erbitterter Feind gegenüberstand und das noch wenige Jahre zuvor in einem verheerenden Krieg Leid über Millionen Menschen in ganz Europa gebracht hat, als "Kinder eines großen Volkes".

Der Mut und die Wirkung von Charles de Gaulles Geste der Aussöhnung mit Deutschland vor 50 Jahren ist heute wohl vielen nicht mehr bewusst.

Heute schaltet der Zuhörer während getragener Reden bei den anstehenden Festakten schnell ab. Unverzichtbare Partnerschaft, absolutes Vertrauen, funktionierende Zusammenarbeit: All diese Stichworte scheinen so selbstverständlich. Sie sind es auch - inzwischen. Denn Charles de Gaulles´ Rede an die deutsche Jugend markiert den Beginn einer Freundschaft, die oft wunderbar ist, manchmal kompliziert und vor allem eines: normal geworden, sogar banal. Und das ist eine gute Nachricht.

Heute bucht man mit einem Klick ein Zugfahrticket ins Nachbarland. Deutsche hören französische Chansons, Franzosen bewundern deutsche Autotechnik. Man macht ein Schuljahr in der Ferne, ein Erasmus-Semester an einer deutschen oder französischen Partner-Universität, verliebt sich und heiratet über Landesgrenzen hinweg.

Eine Realität, die niemand in Frage stellt in einem Europa, das längst keine Zollgrenzen mehr kennt, aber in den meisten Ländern eine gemeinsame Währung. Es ist einfach und machbar geworden, sich zu verstehen.

Umfragen zeigen: Junge Deutsche und Franzosen assoziieren ihren Nachbarn nicht zuerst mit leidvollen Kriegserfahrungen, auch nicht mit politischen Streitigkeiten oder Kräftemessen der Staats- und Regierungschefs. Sondern sie begegnen einander frei von Komplexen, denken zuerst an Reisen oder Job-Möglichkeiten, an Freunde oder auch Familie. Beide Völker wachsen buchstäblich zusammen.

Dabei haben auch all jene Recht, denen die Verbindungen noch nicht weit genug gehen und die vor übertriebener Euphorie über das deutsch-französische Paar warnen, das eine Vernunftehe einging. Mit wachsendem wirtschaftlichem Ungleichgewicht steigt auch das Misstrauen vor allem auf französischer Seite; Populisten springen darauf auf, um sich mittels nationalistischer Töne abzugrenzen. Und noch immer lernt nur eine Minderheit die Sprache des anderen.

Dabei liegt genau hier der Schlüssel: im Dialog, den Schul- und Städtepartnerschaften, Schüler- und Studentenaustauschen. Es gibt bereits etliche, es können noch mehr werden und vor allem brauchen sie finanzielle Mittel. Eine Politikerrede kann nur der Anfang sein. Weiter geht es nur mit denen, an die sie sich richtet; vor allem die Jugend.

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