Kommentar Deutschland und die EU - Germanophobie

BONN · Den Friedensnobelpreis kann der Europäischen Union niemand mehr nehmen, den hat sie sich in der Rückschau verdient. Doch blickt man in die Zukunft, dann wird immer deutlicher: Frieden ist kein einmal erreichter Dauerzustand, keine Selbstverständlichkeit.

Frieden müssen sich die Europäer Tag für Tag neu erarbeiten. Es ist eine harte Arbeit, für einen gerechten Ausgleich nationaler Interessen zu sorgen, kurz- und langfristige Ziele in Übereinstimmung zu bringen. Das erfordert die Fähigkeit, zuhören zu können, sensibel und empathisch zu sein.

Es erfordert Besonnenheit, Kompromissbereitschaft und einen Sinn dafür, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Es scheint, als seien viele dieser Prinzipien, die Europa bislang zu einem preiswürdigen Erfolgsmodell gemacht haben, in der vergangenen Woche unter die Räder gekommen. Zypern mag vorerst gerettet sein. Europa dagegen, genauer: die europäische Idee, ist so gefährdet wie nie.

Der Ausgangspunkt dafür ist das Verhalten der zyprischen Regierung. Diese hatte in den Verhandlungen eine rote Linie nach der anderen überschritten und ungewöhnlich harte Reaktionen der Europartner geradezu provoziert. Irgendwann lagen die Nerven in Brüssel blank. Irgendwann wurde nicht mehr argumentiert. Es wurde nur noch beschimpft und gedroht. Es war ein diplomatischer Dammbruch.

Wenn heute das zyprische Volk auf die Straßen geht und Angela Merkel mit Adolf Hitler vergleicht, dann ist das "nur" eine widerliche Fortsetzung jener Germanophobie, die offenbar noch immer weit verbreitet ist bei unseren Nachbarn, auch wenn sie sich in Regierungskreisen und auf anderen (vermeintlich) elitären Ebenen freilich nicht mit dieser schockierenden Fratze zeigt.

Es stellt sich also die bittere Frage: Was genau hält Europa überhaupt noch zusammen? Von einer gegenseitigen Liebe kann man in der Tat nicht sprechen. Vielfach mag man sich nicht einmal. Die Deutschen gelten als pedantisch, die Franzosen als versoffen, die Briten als snobistisch, die Italiener als faul - und die Polen? Die klauen unsere Autos, ist ja klar. Diese herzliche Abneigung funktioniert natürlich auch ohne deutsche Beteiligung.

Mit deutscher Beteiligung funktioniert sie allerdings besser, weil die deutsche Geschichte, mit Blick auf die Nazi-Zeit, entweder extrem abstoßend ist oder, sieht man etwa die wirtschaftlichen Leistungen der Bundesrepublik, extrem beneidenswert. Zumindest mit unserer D-Mark können wir heute niemanden mehr ärgern, und das führt zu einer Antwort auf die oben gestellte Frage: Es ist der Euro, es ist das wirtschaftliche und währungspolitische Geflecht, das Europa zusammenhält.

Bis vor Kurzem kam dann noch etwas hinzu, das man vielleicht als gegenseitigen Grundrespekt bezeichnen könnte. Auch gab es, zum Teil angeregt durch individuelle Reise- und Urlaubserlebnisse, eine gewisse Offenheit. Das deutsche Sommermärchen bei der WM 2006 etwa schien geeignet, Vorurteile gegen die Deutschen auszuräumen. Nachhaltig war das, leider, nicht.

Ohne den Euro ist Europa derzeit nicht viel wert. Auch deshalb ist es richtig, alles zu unternehmen, um ihn zu erhalten. Deutschland wird damit leben müssen, immer wieder als Retter in höchster Not zu Patienten gerufen zu werden, die nach dem Verabreichen der bitteren Pillen Gift und Galle spucken. Und je mehr die Deutschen gebraucht werden, umso weniger werden sie gemocht. Was für ein Schicksal!

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