Kommentar Die Atom-Einigung mit dem Iran - Die Uhr tickt

Ab 20. Januar tickt im Iran-Atom-Konflikt die Endzeit-Uhr. Was geschehen wird, wenn sie Ende Juli abgelaufen ist, weiß heute niemand. Aber so viel ist klar: Die Wochen bis dahin werden so nervenaufreibend wie selten zuvor. Vor allem für Barack Obama, für den die Einigung vom Wochenende Chance und Risiko zugleich ist.

Spielt Teheran fair und drosselt die Uran-Anreicherung, kann der US-Präsident mehr als einen Achtungserfolg verbuchen. Seine oft angefeindete defensive Politik, die eine militärische Aktion umgehen will, hätte sich bezahlt gemacht.

Trickst das Mullah-Regime jedoch, versucht die neue Führung unter Präsident Ruhani das Atomprogramm in den kommenden sechs Monaten heimlich militärtauglich zu machen, stünde Obama mit dem Rücken zur Wand. Einen Iran mit Nuklearwaffen, hat er dutzendfach beteuert, werde es in seiner Amtszeit nicht geben. Ein Vertragsbruch Teherans müsste nach dieser Logik final bestraft werden: Verhandlungsabbruch, noch drastischere Sanktionen, Militäreinsatz. Mit unabsehbaren Konsequenzen.

Bei allem, was nun kommt, bewegt sich das Weiße Haus auf dünnem Eis. Im Oberhaus des US-Parlaments stützen 59 von 100 Senatoren ein Gesetz, das härtere Wirtschaftssanktionen gegen Teheran vorsieht. Also das exakte Gegenteil von dem will, was das Sechserbündnis aus UN-Vetomächten plus Deutschland dem Iran bei Wohlverhalten fest zugesagt hat: das "Auftauen" von knapp sieben Milliarden Dollar, die bisher auf Eis liegen.

Bei 67 Stimmen im Senat für den Kontra-Kurs wäre der Ofen aus und das angekündigte Veto Obamas außer Kraft gesetzt. Da im Repräsentantenhaus ohnehin mit einer kompromisslosen Haltung gegenüber Iran zu rechnen ist, stünde Obama nackt da.

Der Präsident und sein Außenminister werden darum jede Bühne nutzen, um noch intensiver auf die Abgeordneten einzureden und Geduld einzufordern. Fährt die unberechenbar gewordene Politik in Washington Obama in die Parade, ist das jetzt bestätigte Abkommen tot und Teheran steigt aus. Das Fenster der Diplomatie würde sich wohl auf Dauer schließen.

Umso wichtiger sind vertrauensbildende Maßnahmen Teherans. Signale an die Weltöffentlichkeit, dass man es diesmal ernst meint und Überprüfungen seitens der Internationalen Atomenergiebehörde uneingeschränkt gestattet. Und alles unterlässt, was den Falken in den USA wie in Israel Munition an die Hand gibt. Im Gegenzug muss Washington den Eindruck vermeiden, dass Irans Rolle im Syrien-Konflikt mit der Atomfrage verwoben ist. Es sind zwei Paar Schuhe. Was Obama schon vor Wochen sagte, stimmt auch heute noch. Die Chancen für eine friedliche Lösung des Atomstreits stehen 50:50. Nicht mehr, nicht weniger. Ab 20. Januar tickt die Uhr.

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