Kommentar Die Finanzlage Deutschlands - Mehr Demut

Die Bundesrepublik befindet sich in Sachen wirtschaftspolitischer Entwicklung in einem schwer zu bestimmenden Schwebezustand.

Einerseits signalisiert die erfreuliche Entwicklung der Steuereinnahmen, dass die Konjunktur sich zwar nicht rekordverdächtig, aber doch stabil und nachhaltig in positiven Regionen entwickelt. Davon profitieren der nationale Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungskassen.

Mehr Arbeitnehmer zahlen auch auf der Basis beachtlicher Lohnerhöhungen mehr Geld in die Kranken- und Rentenversicherungen ein. Weniger Arbeitslose müssen staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Das entlastet die öffentlichen Kassen ungemein und nährt die Hoffnung auf finanzpolitisch rosige Zeiten. Andererseits gibt es die düsteren Wolken der Euro- und der Griechenland-Staatskrise. Sie hemmen den Optimismus der Menschen deutlich; die Konsumbereitschaft beginnt vor allem in den USA zu schwächeln.

Die deutsche finanzpolitische Zukunftsdebatte ist von Scheinheiligkeit nicht frei. Sie unterdrückt Spardisziplin. Der letzte Haushaltsentwurf 2012 ist von ziemlicher Großzügigkeit geprägt. Anders ist die Nettokreditaufnahme von rund 26 Milliarden Euro nicht erklärbar. Insgesamt stehen Bund, Länder und Gemeinden mit weit über 1,5 Billionen (!) Euro in der Kreide. Der Schuldendienst ist weiterhin der zweitgrößte Haushaltstitel.

Vor diesem Hintergrund müssen alle Debatten über Wachstumsimpulse und -programme, die der Staat anstoßen soll, mit größter Demut geführt werden. Jeder Euro muss zweimal umgedreht werden, ehe der Staat ihn ausgibt. Trotz aller Freude auf einen baldigen ausgeglichenen (Bundes-)Haushalt bleibt es dabei, dass Deutschland ein hoch verschuldetes Land ist.

Im Grundsatz ähnlich sieht die Problemlage bei der Kranken- und Sozialversicherung aus, die zurzeit im Grunde nicht wissen, wohin mit dem Geld. Es sind weit mehr als die vorgeschriebenen Finanzreserven vorhanden. Die Debatte um die Frage, wie die Patienten von diesem Erfolg profitieren sollen, wird als Reaktion auf den durch die Bundesregierung erzeugten Druck schon seit längerem geführt. Dabei sollte man sich vor Gefälligkeitsdenken hüten. Die Rücknahme der Praxisgebühr ist so ein Beispiel: Sie ist unter sozialen Gesichtspunkten ein Ärgernis, aber politisch hat sie den Sinn, Patienten von überflüssigen und damit kostenträchtigen Arzt-Besuchen abzuhalten, voll erfüllt.

Die nächste Konjunkturkrise kommt bestimmt. Und die Euro-Probleme werden uns noch lange beschäftigen. Deutschland ist gestärkt aus den Krisen hervorgegangen. Das ist ein Verdienst dieser Regierung, aber auch all jener, die in den letzten Jahren die Strukturreform vorangetrieben haben. Eine dauerhafte Aufschwunggarantie gibt es nicht.

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