Kommentar Die Lage der SPD - Gabriel kämpft

Es ist schon bemerkenswert, wie sehr sich Sigmar Gabriel in den medialen Vordergrund drängt. Eigentlich wollte sich der frisch gebackene Vater für drei Monate eine Elternzeit auferlegen. Tatsächlich vergeht kein Tag, an dem sich der SPD-Vorsitzende nicht zu irgendeinem Thema in die Öffentlichkeit wagt.

Das sind keine belanglosen Sommerloch-Interviews, sondern durchaus ernsthafte Positionierungen, die er für seine Partei vornimmt. Am Wochenende kündigte er an, dass sich seine Partei dem Bündnis "Umfairteilen" anschließen wolle, eine Interessenvertretung aus Sozialverbänden und Gewerkschaften. Mehr "sozialen Patriotismus" forderte der SPD-Chef vollmundig.

Wohlgemerkt: Es ist derselbe Politiker, der noch vor zwei Jahren die Hartz-IV-Reformen glühend verteidigte, deren Ursprung auf die rot-grüne Koalition ins Jahr 2002 zurückgeführt werden kann. Sie sorgten für eine massive Kluft zwischen Arm und Reich.

Tatsächlich waren diese Arbeitsmarktreformen in ihren Auswirkungen sozial ungerecht. Aber sie haben die neue internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands massiv gefördert, wie die gute Verfassung zeigt, in der das Land die Euro-Krise bisher bewältigt hat.

Gabriel hat spätestens am Beispiel des neuen französischen Staatspräsidenten François Hollande lernen können, wie populär die Forderungen nach höheren Belastungen für die Superreichen in der Gesellschaft sind. Auch die einschlägigen SPD-Programme enthalten, allerdings gut getarnte, Forderungen, die in diese Richtung zielen. Gabriel erinnert sich und die Partei daran, dass - anders als zu Zeiten Gerhard Schröders, der in der gesellschaftlichen Mitte für sich und seine Politik die Anhängerschaft suchte - man vordringlich mit linken sozialpolitischen Themen gewinnen will.

Zwei Aspekte kommen hinzu: Gabriel strebt offensichtlich selbst die Kanzlerkandidatur an. Dem am Wochenende von verschiedenen SPD-Größen in den Vordergrund geschobenen Mitkonkurrenten Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück werden die Themen vorgesetzt.

Eine zweite Erkenntnis: Die SPD muss sich Gedanken darüber machen, welche Strategie sie gegenüber Angela Merkel nach vorn stellt. Die Bundeskanzlerin, die in Brüssel so tapfer wie öffentlichkeitswirksam die deutschen Interessen vertritt, ist in Deutschland so beliebt wie nie zuvor. Langsam beginnt sich das auch in den Umfragewerten für ihre Partei, die CDU, niederzuschlagen.

Das setzt die größte Oppositionspartei unter Druck. Die SPD und Gabriel müssen über den Zeitplan der Kandidatenbenennung noch einmal nachdenken. Ein edler Wettstreit zwischen drei Spitzengenossen ist zwar nobel, aber reißt niemand vom Stuhl. Die Geheimnistuerei sollte nach der Sommerpause ihr Ende finden.

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