Kommentar Die Nato, Russland und die Ukraine - Was will Putin?

Wladimir Putin provoziert, aber er droht nicht. Russische Kriegsschiffe vor Australien, Moskaus Kampfbomber im Luftraum der Nato und bis an die Grenze zu den USA, frische Kampftruppen in der Ost-Ukraine - Europa erstarrt zwar nicht in Angst.

Doch die Furcht vor neuen Eskalationen wächst. Das Europäische Parlament reagierte gestern auf seine Weise, indem es das Assoziierungsabkommen mit Moldawien ratifizierte. Jenem Land, in dem Ende dieses Monats gewählt wird und in dem der Kreml (wie in der Ukraine) mit Handelsversprechen und vielen Millionen den Wahlkampf Moskau-freundlicher Parteien unterstützt. Gärt es schon wieder?

Ob der Kreml-Fürst vom historischen Traum des großrussischen Reiches aus dem 18. Jahrhundert angetrieben wird oder schlicht eine geopolitische Pufferzone assoziierter Länder (cordon sanitaire) um sich scharen will, wie es einst die Sowjetunion tat - für die westlichen Militärs sind zwei Dinge klar: Wegen der Ukraine werde man keinen Krieg führen. Und: Wenn auch nur ein Mitglied des "erfolgreichsten Verteidigungsbündnisses der Welt ( US-Präsident Barack Obama in Tallinn) angegriffen werde, schlage man zurück. Die Kriegsführung hat sich im 21. Jahrhundert verändert. Vor Jahren wurden estnische Rechner attackiert. In der Ukraine tauchten Soldaten ohne Hoheitszeichen auf - die Nato wird sich neu aufstellen müssen, heißt es in Brüssel.

Aber hat der Westen nicht auch eigene Fehler im Umgang mit Moskau gemacht, russische Sicherheitsinteressen übersehen? Die Legende von den amerikanisch-europäischen Patzern will in Brüssel niemand mehr wirklich mittragen. Immer wieder hat man sich um eine Beteiligung Moskaus in der Ukraine-Frage bemüht, ist auf Bedenken Putins eingegangen. Das ändert aber an der sogenannten "russischen Befindlichkeit" wenig. Man demütigte die einstige Supermacht, machte sie zum kraftlosen Giganten, der nicht nur ideologisch verloren hatte, sondern zunehmend auch wirtschaftlich.

Zwar konnte sich Russland vor allem unter Putin zur neuen Großmacht in Sachen Rohstoffe und Energie aufbauen, vergaß darüber aber die überfälligen Reformen der eigenen Wirtschaft. Das rächt sich längst bitter. Selbst der Versuch des Kreml, die brüchiger werdenden Geschäftsbeziehungen zum Westen durch eine neue Freundschaft Richtung China zu ersetzen, entpuppte sich als schwerer politischer Fehlschlag: Russland konnte zwar einen Gas- und Öl-Deal abschließen, der Milliarden sichert, musste seine kostbaren Rohstoffe aber zum Selbstkostenpreis verkaufen. einer Würdigung der stolzen russischen Seele konnte keine Rede sein.

In dieser Situation fürchten viele, dass Putin sich in der Rolle des angeschlagenen Bären wiederfindet, der durch die Sanktionen der EU vollends in die Enge getrieben wird und dann irrational reagieren könnte. Die Botschaft der Europäischen Union ist trotz der offenkundigen Spannungen an diversen Fronten klar: Man lässt sich nicht aufhalten, wie der gestrige Schulterschluss mit Moldawien zeigt. Die Antwort aus Moskau scheint nicht weniger missverständlich: Die Drohungen werden stärker. Noch gibt es keine wirkliche Eskalation, aber eben auch keine echte Entspannung.

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