Kommentar Die NATO vor ihrem Gipfeltreffen - Alles Chicago

Heimspiel für Barack Obama. Wenn sich die NATO-Staats- und Regierungschefs nächste Woche zu ihrem Hochamt in der Heimatstadt des US-Präsidenten treffen, wird ihnen auch kalter Wind aus Osten um die Ohren wehen. Normal in Chicago.

Denn mit Wind kennen sich die Menschen in der "windy city" aus. Er pfeift regelmäßig vom Michigansee herüber. Doch dieser Wind ist anders. Er kommt aus Moskau. Grüße eines verschnupften strategischen Partners.

Die Großmacht Russland stört sich seit Jahren an den Plänen der Weltmacht USA, auf NATO-Territorium, aber doch nahe genug an der Grenze Russlands, einen Raketenabwehrschirm zu installieren. Zwar soll diese Raketenabwehr mit Gefechtsstand im rheinland-pfälzischen Ramstein und Frühwarnradar in der Türkei (womöglich atomar bestückte) Mittel- und Langstreckenraketen eines anti-westlichen Regimes oder anderer unberechenbarer Potentaten zerstören, bevor diese ihr Ziel erreichen. Doch Moskau argwöhnt, die NATO könnte diese Raketenabwehr eines Tages auch gegen russische Raketen lenken. Ob Paranoia aus der Zeit des Kalten Krieges oder nicht, die Bedenken sind da.

Keine Frage, die NATO und Russland stehen nicht vor Beginn einer neuen Eiszeit. Dazu sind die Beziehungen zwischen dem mächtigsten Militärbündnis der Erde und dem Riesenreich zwischen Europa und China seit Ende des Kalten Krieges zu weit entwickelt. Doch lässt Moskau vor dem NATO-Gipfel in Chicago, bei dem zum ersten Mal seit langem kein NATO-Russland-Rat auf der Tagesordnung steht, mit Kalkül die Muskeln spielen.

Mit beispielloser Schärfe hatte Generalstabschef Nikolai Makarow zuletzt bei einer Konferenz auf eigenem Boden vor einer NATO-Raketenabwehr in Europa gewarnt und mit einem militärischen Erstschlag gegen die alliierte Raketenabwehr gedroht. Bei der NATO wiederum heißt es, die beste Versicherung Russlands sei doch, bei der Raketenabwehr einfach mitzuarbeiten. Moskaus größtes Problem: Russland will nicht alle Erweiterungsstufen der vor allem von den USA gewollten Raketenabwehr mitgehen.So wird die NATO in Chicago ungeachtet aller Misstöne aus Russland dennoch die Anfangsbefähigung ("Interim Operational Capability") ihrer Raketenabwehr verkünden.

Und auch der Dauereinsatz in Afghanistan wird den "Klub der 28" NATO-Mitglieder in Chicago beschäftigen. Mit der so genannten Übergabe der Verantwortung an die afghanische Armee und Polizei leitet die NATO-geführte ISAF-Truppe auch ihren Abzug vom Hindukusch ein. Gemeinsam rein, gemeinsam raus. Das ist eherne Devise im Bündnis. Doch niemand glaubt ernsthaft, dass ab dem 1. Januar 2015, wenn alle Kampftruppen abgezogen sein sollen, kein NATO-Soldat mehr in Afghanistan steht. Der Einsatz geht weiter. Nur anders.

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