Kommentar Die Rolle eines neuen Papstes - Entzaubert

So respektabel die Beweggründe von Benedikt XVI. für seinen Rücktritt sind und so sehr die Konsequenz seiner Entscheidung zu bewundern ist - er hinterlässt seinem Nachfolger zusätzlich zur übrigen Bürde des Amtes eine weitere Aufgabe: Der neue Papst muss seine Rolle neu definieren.

Dabei wird es das geringste Problem sein, dass jeder neue Pontifex an seinem noch lebenden Vorgänger gemessen werden wird. Joseph Ratzinger wird sich konsequent zurückhalten. Er ist kein geborener Megastar wie Johannes Paul II., der wohl ohne eigenes Zutun auch dann die Szene in Rom dominiert hätte, wenn er seine letzten Lebensjahre zurückgezogen als Papa emeritus verbracht hätte.

Größer wird die Herausforderung, mit der "Entzauberung" der päpstlichen Macht umzugehen - auch wenn es grundsätzlich eine "gute Entzauberung" ist, wie der Berliner Kardinal Rainer Woelki erläutert hat. Während der Rücktritt eines Papstes Jahrhunderte lang eine bloß theoretische Möglichkeit war, hat Benedikt XVI. einen Präzedenzfall geschaffen: Der Bischof von Rom kann tatsächlich wie jeder andere Bischof zurücktreten. Das wird allen Nachfolgern vorgehalten werden. Nicht immer aus lauteren Motiven.

Wer sich an den mit "Vatileaks" umschriebenen Psychoterror gegen Joseph Ratzinger erinnert, der kann sich vorstellen, wie gern die Drahtzieher einer solchen Affäre nach jedem vermeintlichen Signal suchen werden, dass auch der neue Papst für den Rücktritt reif sei. Vielleicht eine Krankheit? Oder eine missliebige Entscheidung, deren Kritiker dem Papst ein Nachlassen seiner Urteilsfähigkeit vorhalten?

Dass das Papstamt bisher auch für den Amtsinhaber selbst nicht disponibel erschien, hat die Päpste geradezu übermächtig werden lassen. Das war zuweilen, aber nicht immer zum Nachteil für die Kirche. So müssen sich die Anhänger eigenständiger Ortskirchen fragen lassen, wie sich denn der Missbrauchsskandal entwickelt hätte, wenn Benedikt XVI. nicht in viele Bistümer hineinregiert und seine Null-Toleranz-Politik durchgesetzt hätte. Ein neuer Papst mit disponibel gewordenem Amt, ein Papst, den man vielleicht zum Rücktritt treiben könnte - der wird es nicht einfacher haben, durchzugreifen, wo es nötig ist.

Vielleicht am größten ist andererseits die Gefahr, dass ein neuer Papst seine "Entzauberung" durch ein betont autoritäres Auftreten zu kompensieren versuchen könnte. Es sind ohnehin meist Freunde der klaren konservativen Ansage, die da für die Ratzinger-Nachfolge genannt werden. Was der Kirche fehlt, ist aber eine Kultur des Zuhörens und des Gesprächs. Joseph Ratzinger hat es nicht gewagt, sich darauf wirklich einzulassen. Wird sein Nachfolger stark genug sein, seine auf Zeit - nicht mehr unbedingt auf Lebenszeit - verliehene Vollmacht im Dialog zu vertreten und gerade daraus persönliche Autorität zu gewinnen?

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