Kommentar zu den Corona-Maßnahmen Die Solidarität in der Corona-Krise bröckelt
Berlin · Bund und Länder können in der Debatte um eine Lockerung der Corona-Maßnahmen nur noch mit Mühe den Deckel auf dem Topf halten, in dem es zischt und brodelt. Derweil steckt Armin Laschet knietief im Chaos um die Schulöffnungen in NRW.
Öffentliches Lob und Dank von Regierungschef zu Regierungschef bekommt Kanzlerin Merkel normalerweise nur, wenn sie Besuch aus dem Ausland hat. Dass nun Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in die Rolle des Schmeichlers schlüpfte und der Kanzlerin bescheinigte, in der Corona-Krise die „internationale Stimme der Vernunft“ zu sein, weist vor allem auf Söder selbst und wie er seine neue Rolle definiert: Staatsmännisch, auf Augenhöhe mit Merkel und in der Sache mit der vorsichtigen Naturwissenschaftlerin im Bunde - in größtmöglicher Abgrenzung zu seinem Konkurrenten, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Größer hätte der Unterschied nicht sein können: Söder der Bedächtige, Laschet knietief im Chaos um die Schulöffnungen im eigenen Land.
Nur mühsam konnten Merkel, Söder und Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher den Beschluss der Ministerpräsidenten auf nur vorsichtige Öffnungen wie Spielplätze, Gottesdienste, Museen und Gärten als eine Einigung verkaufen. In Wahrheit galoppieren die Länder in unterschiedliche Richtungen. Für die Kanzlerin wird es immer schwieriger, den Deckel noch auf dem Topf zu halten, in dem es zischt und brodelt.
Noch bevor die Schalte der Ministerpräsidentenkonferenz begann, drang zunächst durch, dass NRW bei den Schulöffnungen eigene Wege gehen will, was später zurückgenommen wurde, und Rheinland-Pfalz hatte eine Öffnung aller Läden ab dem 4. Mai bekannt gegeben. Die Ministerpräsidenten stehen in ihren Ländern unter dem Druck, dass Wirtschaft, Sozialeinrichtungen, Freizeit-Anbieter und auch viel Bürger aus ökonomischen, humanitären und persönlichen Gründen das öffentliche Leben möglichst schnell wieder hochfahren möchten.
Die Kanzlerin schaut nüchtern auf die Zahlen und fürchtet einen Wiederanstieg der Infektionen, der nicht nur das Gesundheitssystem überfordern könnte, sondern auch das Vertrauen der Bürger in das Krisenmanagement der Regierung tief erschüttern würde. In einer zweiten starken Infektionswelle könnten so auch in Deutschland italienische Verhältnisse entstehen.
Noch steht die öffentliche Meinung hinter den Maßnahmen von Bund und Ländern. Dieser Konsens ist aber zweifach gefährdet: Die immer weiter auseinander laufenden Verbote, Lockerungen und in Aussicht gestellten Lockerungen lassen die Nachvollziehbarkeit der Maßnahmen sinken. Wenn die Länder und in Teilen ja auch die Kommunen machen, was sie für richtig halten. Warum sollte dann nicht auch der Bürger als Souverän eine individuelle Risikoabschätzung treffen? Die gesellschaftliche Solidarität in der Corona-Krise steht auf dünnem Eis. Während zu Beginn des Lockdowns die Menschen mit viel Verständnis und Gelassenheit reagierten, wächst nun die Ungeduld. Nicht nur die vielen Gerichtsurteile, die Lockdown-Maßnahmen aufheben, belegen, dass die Regierungen in Bund und Ländern andauernde Einschränkungen sehr gut begründen müssen.