Kommentar Die Türkei und der Konflikt mit Syrien - Kein Bündnisfall
Die Prognose sei gewagt: Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan wird die NATO nicht ernsthaft in die Pflicht nehmen und damit in Verlegenheit bringen.
Denn den zweiten Bündnisfall ihrer Geschichte nach 2001 wird die Nordatlantische Allianz wegen einiger Schüsse, abgefeuert von syrischen Regierungssoldaten auf ein Flüchtlingslager in der Türkei, kaum riskieren. Der Zwischenfall an der türkisch-syrischen Grenze ist ernst, keine Frage, aber er ist kein Grund für kollektive Verteidigung im Bündnis. Dazu wiegt die syrische Provokation, die einmal mehr zeigt, dass der Machthaber in Damaskus in seinem moralisch entgrenzten Krieg gegen die eigene Bevölkerung keine Grenzen kennt, zu wenig.
Erdogan vertritt selbstredend türkisches Interesse. Dazu zählt die Unversehrtheit des eigenen Staatsgebietes. Und er hat in diesem Fall auch das Leben von Menschen zu schützen, die sich vor dem möglichen oder sicheren Tod auf türkisches Territorium gerettet haben. Auch das ist eine Pflicht zum Beistand. Aber es zwingt nicht, den kollektiven Verteidigungsfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages auszurufen. Entsprechend sparsam war nach Erdogans Fingerzeig auch die Reaktion der Nato in Brüssel.
Der syrische Diktator Baschar al-Assad tritt Menschenrechte mit Füßen, er ignoriert Abkommen, aber er wird nichts tun, was seine Macht gefährdet. Die Nato auf den Plan zu rufen, würde genau dies tun. Klar doch, Erdogan will Ruhe an der türkisch-syrischen Grenzfront. Dazu braucht er aber die Nato nicht. Es genügen die eigenen Bordmittel.