Kommentar Die Union und die AfD - Keine Partner

Schaut man sich die Debatten über den Umgang mit der AfD an, wird deutlich, wie vergesslich das politische Geschäft sein kann. So lang ist es noch nicht her, dass einer anderen neuen Gruppierung bescheinigt wurde, den Megatrend der Zeit zu verkörpern.

Bis Mai 2012 hatten es die Piraten geschafft, binnen acht Monaten in vier deutsche Landtage einzuziehen. Alles schien bereitet für den Einzug in den Bundestag.

Doch dem Blitzstart folgte die Bruchlandung, weil die Arbeit in den Parlamenten von Chaos und Streitereien geprägt war. Der Vertrauensentzug der Wähler war so total, dass schon gar nicht mehr registriert wird, dass wenigstens die Berliner Piraten inzwischen eine engagierte Oppositionsarbeit hinlegen. Der Hype war vorbei - und kommt nicht wieder.Ist daraus wirklich nichts zu lernen?

Gestern empfahl der CDU-Fraktionschef im Thüringer Landtag, Mike Mohring, seinen sächsischen Parteifreunden, eine Koalition mit der AfD "zu prüfen". Was aber soll geprüft werden, wenn es keinerlei Erfahrungswerte gibt? Selbst wenn man zur Annahme käme, dass die neuen Abgeordneten der AfD allesamt seriös, klug und besonnen auftreten werden - eine Annahme, für die wenig spricht -, wäre es ein Gebot der Klugheit, abzuwarten, statt den gut regierten Freistaat zum Gegenstand eines Experiments mit offenem Ausgang zu machen.

Aber es gibt doch inhaltliche Übereinstimmungen, heißt es mancherorts in der Union. Tatsächlich? Nicht nur in der Schlüsselfrage der Europapolitik klaffen weite Gräben. Wenn die AfD-Kandidaten überhaupt ein weiteres Thema benennen, dann die Forderung nach "mehr direkter Demokratie". Dabei ist klar: Es gibt keine andere etablierte Partei, die Volksabstimmungen zu Einzelthemen so kritisch gegenübersteht wie die Union. Ansonsten bleiben nur lange AfD-Kataloge von Wünschbarkeiten: mehr Lehrer, mehr Polizisten.

Ja, heißt es dann, die AfD sei doch eine bürgerliche Kraft. Das ist sie definitiv nicht. Unter ihrem Spitzenpersonal ist zwar viel professorale Honorigkeit versammelt. Aber die Wähler kommen von überall: den Nichtwählern, den Rechtsradikalen, den Linken - und auch von ehemaligen CDU-Sympathisanten. Es treibt sie nicht die Sorge um einen aufgeklärt zeitgemäßen Konservatismus, sondern die Angst vor der neuen Unübersichtlichkeit in Zeiten der Globalisierung, vor den rasanten Veränderungen einer digitalen Welt, vor Abstieg und Orientierungsverlust.

Wer wirklich Bürgerliche in CDU-fernen Milieus sucht, findet sie verlässlicher in den großstädtischen Milieus gut verdienender Grünen-Wähler. Wolfgang Bosbach hat Recht. Man darf die AfD nicht totschweigen. Man muss sie genau registrieren - um sie als Konkurrenz der Union zu bekämpfen, nicht um sie zu umarmen.

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