Kommentar zur Einheit Die Unvollendete

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen in der Welt - Ukraine, Syrien, Finanzen, Klima - verbietet sich fast die Frage, ob die deutsche Einheit gelungen ist. Und ob sie es ist! Und wie! Trotz aller Defizite im Detail.

Eure Sorgen möchten wir haben - das denken die Menschen in den Staaten um uns herum fast ausnahmslos. Und Tausende und Abertausende Flüchtlinge, die nach Deutschland ziehen, fühlen sich deshalb von diesem (Wunder-Muster-)Land angezogen. Da musste Angela Merkel gar nicht besonders werben.

Also: Deutschland, seit einem Vierteljahrhundert wieder einig Vaterland! Glückwunsch! Was manchem vorkommt, als sei es gestern passiert, ist fast schon wieder eine Epoche her. Bald haben die Jahre, da die Mauer gefallen ist, die Jahre, da die Mauer die Deutschen trennte, eingeholt. 25:28 ist der aktuelle Stand. Die deutsche Einheit - keine Frage - ist gelungen.

Übrigens auch mit Hilfe einer großen Solidaritätsaktion, von der viele wahrscheinlich gar nicht wissen, dass sie immer noch daran teilnehmen. Ein Erfolgsmodell, von dem westdeutsche Kommunen jetzt auch endlich profitieren möchten. Soli für alle gewissermaßen. Aufbau Ost und Aufbau West.

Doch die nationale Sicht der Dinge greift - auch am nationalen Einheitstag - zu kurz. Denn so gut die deutsche Einheit dasteht, so brüchig, so unvollendet ist die europäische. Gewiss: Der europäische Preis für die deutsche Einheit war die Währungsunion, die Einbindung Deutschlands in den gemeinsamen Euro - auch wenn Kundige schon damals wussten, dass auch dieser Euro wieder zugunsten Deutschlands wirken würde.

Verbunden mit dem Euro waren Geburtsfehler, die viel schwerer wiegen als die innerdeutschen Defizite. Ohne Wirtschafts- und Steuerunion, also ohne Angleichung der Systeme, fehlen wichtige Elemente einer Harmonisierung. Der Euro allein reicht nicht nur nicht, er verschärft die Probleme zum Teil sogar.

Doch auch dieses Defizit, das zu beheben sich nationale Politiker immer weniger trauen, ist noch nicht das Hauptproblem. Sondern vielmehr, dass Europas Einigung, zumindest Europas Annäherung, vor den Toren Russlands halt gemacht hat. Die Trennung ist nicht behoben, die Linie ist nur verschoben, Russland musste draußen bleiben.

Das erweist sich gerade in diesen Wochen als schwerer Fehler, den europäische Diplomatie nur mit ungeheuren Mühen wettmachen kann. Kein Missverständnis: Wladimir Putin ist weiß Gott in erster Linie - siehe Krim, siehe Ukraine - Täter. Aber ein kooperativerer Westen hätte vieles verhindern können.

Jetzt lastet auch dieses Problem zuallererst auf Angela Merkel. Deutschland wird im 25. Jahr seiner Einheit, ob es will oder nicht, zu einer Führungsmacht in Europa. Genau darin liegt die einzige Gefahr der neuen deutschen Größe. Selbstbewusstsein ja, Selbstgefälligkeit - bitte nicht!

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