Kommentar Die USA und Deutschland - Illusionäre Erwartungen

Die Glückwunschadressen, die Barack Obama aus Deutschland erreichten, haben alle eines gemeinsam: Sie enthielten, mal kurz (Angela Merkel), mal länger (CSU-Chef Horst Seehofer) Erwartungen, die nicht erfüllbar sind. Sie enthielten also Illusionen.

Man muss es so klar sagen: Die transatlantischen Beziehungen sind längst nicht mehr geprägt von der hohen Emotionalität der Nachkriegszeit, sie sind heute - und unter Obama erst recht - von einer hohen Kosten-Nutzen-Rationalität geprägt. Von einer besonderen, einer herausgehobenen Beziehung zwischen Berlin und Washington kann keine Rede mehr sein.

Bezeichnend dafür ist allein die Tatsache, dass Obama Berlin in seiner ersten Amtszeit nicht betreten hat, nachdem ihm Merkel im ersten Präsidentschaftswahlkampf einen Auftritt vor dem Brandenburger Tor verweigert hatte. Merkel hat Obama gestern "ganz herzlich", Vizekanzler Philipp Rösler "recht herzlich" zum Wahlsieg gratuliert.

Echte Herzlichkeit formuliert man anders. Zu den persönlich-psychologischen Belastungen des Verhältnisses kommen objektive Faktoren - und die sind gewichtiger. Thema Finanzkrise. Merkel hat sich mit ihrer bisherigen, einseitig auf Sparen ausgerichteten Konsolidierungspolitik nicht nur die Kritik der heimischen Opposition, sondern eben auch des US-Präsidenten zugezogen.

Der Konflikt geht ungebremst mit in dessen zweite Amtszeit. Es gibt - Thema Wirtschaftspolitik - ebenso unverändert Differenzen in der Handelspolitik. Fortschritte bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen, wie sie Rösler erwartet, stehen in den Sternen.

Das, was den Deutschen mit ihrer singulären Rolle in der Energiepolitik besonders wichtig ist, der Kampf gegen den Klimawandel, interessiert Amerika immer noch nicht wirklich. Und selbst wenn Obama ihn anginge, hätte er es mit einem konservativ dominierten Repräsentantenhaus zu tun.

Die USA werden in den kommenden vier Jahren sparen und sie werden ihr sicherheitspolitisches Engagement reduzieren. Veränderungen, die gerade die Deutschen spüren werden. Es ist deshalb auch in hohem Maße illusionär, dass 92 Prozent der Deutschen Obama als "ihren" Präsidenten ansehen. Sie werden sich noch wundern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Lage ist ernst
Kommentar zur islamistischen Bedrohung Die Lage ist ernst
Euphorie im Anflug
DFB-Team überzeugt gegen Frankreich Euphorie im Anflug
Zum Thema
DFB-Team mit neuem Spirit
Kommentar zur Fußball-Nationalmannschaft DFB-Team mit neuem Spirit
Kosten über Sicherheit
Kommentar zum Einsturz der Brücke in Baltimore Kosten über Sicherheit
Assange und das Recht
Kommentar zur aufgeschobenen Auslieferung Assange und das Recht
Der Kaiser ist nackt
Kommentar zu Donald Trump Der Kaiser ist nackt
Aus dem Ressort