Kommentar Die USA und Kobane - Am Boden

Mängel", "Widersprüche", "Lücken". Solche Vokabeln finden sich nicht nur in amerikanischen Leitartikeln, wenn es gilt, die Luftangriffe gegen das Terror-Netzwerk "Islamischer Staat" im Irak und in Syrien die bisherige Strategie von Präsident Barack Obama zu charakterisieren.

Mit Jimmy Carter hat jetzt erstmals ein früherer Präsident eine Breitseite auf den Amtsinhaber im Weißen Haus losgelassen. "Wir haben erlaubt, dass der 'Islamische Staat' sein Geld, seine Fähigkeiten, seine Stärke und seine Waffen aufbauen konnte, als er noch in Syrien war", sagte der gerade 90 Jahre alt gewordene Carter und befindet sich damit in prominenter Gesellschaft. Ex-Verteidigungsminister Leon Panetta wirft Obama vor, durch den vollständigen Abzug der amerikanischen Soldaten im Irak jenes Vakuum begünstigt zu haben, in dem die Terrormiliz erst gedeihen konnte. Der Verzicht auf eine frühzeitige Bewaffnung von moderaten Kräften in der Anti-Assad-Bewegung in Syrien habe ebenfalls zur heutigen Misere beigetragen.

Vor allem unter dem Eindruck der Tragödie um die Grenzstadt Kobane, wo der IS bis zuletzt aus der Zurückhaltung der USA wie der Türkei gleichermaßen Kapital schlug, wird in den USA der Ruf nach einer Kurskorrektur lauter. Der Commander-in-Chief müsse seine Taktik ändern und sich von dem mehrfach gegebenen Versprechen verabschieden, keine regulären Bodentruppen ("no boots on the ground") in die Region zu schicken.

Die Krise um Kobane decke schonungslos die "Risse" in Obamas Strategie auf und unterlaufe generell die militärischen Anstrengungen gegen die Islam-Terroristen, kommentiert das "Wall Street Journal". Die "Washington Post" bilanziert: Die Auflagen, die der Präsident seinen Kommandeuren gemacht habe, seien "nicht vereinbar mit den Zielen, die er ihnen zu erreichen vorgegeben hat". Sprich: die Schwächung und die Zerstörung des selbsternannten Kalifats.

Sollte es in Kobane am Ende zu einem Sieg des IS kommen, stünde der Stadt ein Massaker an Zivilisten bevor wie 1995 im Bosnien-Krieg in Srebrenica geschehen, sagen Experten. Strategisch gewönne das Terror-Netzwerk durch die Einnahme der Stadt nicht nur die Oberhoheit über einen langen Grenzabschnitt zum Nato-Mitgliedsland Türkei. Sondern auch "enorm an Prestige unter radikalen Muslimen", was wiederum als Mittel zur Rekrutierung weiterer Kämpfer dienen würde. "Die Dschihadisten werden behaupten, sie hätten ein Amerika bezwungen, das nicht in der Lage war, sie zu stoppen."

Dass die Lage trotz über 350 Luftangriffen auf IS-Stellungen keine echte Trendwende gebracht hat, räumen hohe US-Militärs intern längst ein. Bisher gilt noch Obamas Dekret, wonach GI?s nicht am Boden kämpfen sollen. So soll ausgeschlossen werden, dass die USA abermals analog zu Afghanistan und Irak in einen jahrelangen Abnutzungskrieg im Mittleren Osten verwickelt werden. Aber die Zusage wackelt. Obama-Kritiker fordern den umgehenden Einsatz von US-Bodentruppen, um weitere Geländegewinne des IS zu verhindern.

Obama lässt sich von seinen Generälen über die widrige Lage in Syrien ins Bild setzen. Schlussfolgerungen sind schon bald zu erwarten.

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