Ein Jahr Arabischer Frühling: Ende der Illusionen

Ein Jahr nach Beginn des Arabischen Frühlings ist der Weg, den die in Aufruhr befindlichen Gesellschaften einschlagen, ungewiss. In Syrien wird die aufständische Opposition mit äußerster Brutalität von Präsident Baschar el-Assad und seinen Schergen bekämpft.

In Ägypten gewinnen bei freien Wahlen islamistische Parteien drei Viertel der Stimmen. In Libyen war sich die Freiheitsbewegung nur einig im Kampf gegen Muammar al-Gaddafi und sein Regime. Nun droht ein Bürgerkrieg der zerstrittenen Stämme. Auch in Tunesien, Bahrein oder im Jemen ist die Lage alles andere als stabil. Viele der anfänglichen Hoffnungen auf mehr Freiheit, Demokratie und vor allem soziale Perspektiven sind bisher unerfüllt geblieben.

Der Aufstand in weiten Teilen der arabischen Welt hat zwar die gesamte Region in einer historischen Dimension verändert. Die Frage stellt sich jedoch, ob sich die Situation für die Mehrzahl der Menschen zumindest mittelfristig verbessert. Seriöse Prognosen sind gegenwärtig nahezu unmöglich.

Beispiel Ägypten: Zwar versichert die konservative Muslimbruderschaft, die fast die Hälfte der Parlamentssitze eroberte, dass sie Liberalität herrschen lassen und ihr Weltbild von einer angemessenen islamischen Lebensweise niemandem aufzwingen will. Doch selbst wenn man ihr glaubt: Wie lange wird sie eine solche Politik unter dem Druck radikal-muslimischer Salafisten, die immerhin auch ein Viertel der Sitze eroberten, durchhalten?

So beeindruckend die in alle Welt übertragenen TV-Bilder von standhaften Freiheitskämpfern auf dem Kairoer Tahrir-Platz, so naheliegend euphorische Vergleiche mit dem Umbruch im Ostblock und den Montagsdemos in Leipzig 20 Jahre zuvor gewesen sein mögen: Die gesellschaftliche Situation in Nordafrika und dem Nahen Osten 2011/12 ist eine andere als die in Europa 1989/90.

Der Glaube, hier könne eine Volksbewegung der Demokratie im westlichen Sinne Bahn brechen, bleibt spätestens nach dem Wahlergebnis von Ägypten endgültig Illusion. Die sozialen Spannungen und Verwerfungen sind so gewaltig, Aufstiegschancen für die junge Generation so gering, Möglichkeiten, auf dem Weltmarkt konkurrieren zu können und somit zumindest Aussicht auf bescheidenen Wohlstand zu erzielen, derart schlecht, dass einfache Parolen von Populisten und Fanatikern auf fruchtbaren Boden fallen.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Lage in den diversen Ländern der Region: Die alten, sich auf das Militär stützenden Eliten sind desavouiert, neue liberale und säkulare Eliten kaum verankert in den breiten Schichten der darbenden Bevölkerung. Als Alternative verkaufen sich erfolgreich - mehr oder weniger radikale - religiöse Kräfte. Im aus europäischer Sicht positiven Falle dient als Vorbild die Türkei. Im schlechtesten eine Diktatur im Namen Allahs.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Jana Marquardt
zu Arbeitslosen in Deutschland
Viel Potenzial bei Ungelernten
Kommentar zur ArbeitslosenquoteViel Potenzial bei Ungelernten
Eine andere Welt
Kommentar zu den weltweiten Militärausgaben Eine andere Welt
Zum Thema
Noch nicht aufgewacht
Kommentar zum Treffen zwischen Scholz und Sunak Noch nicht aufgewacht
Nur Warten reicht nicht
Kommentar zur Frühjahrsprognose Nur Warten reicht nicht
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Aus dem Ressort